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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke


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Das Wirtshaus im Spessart.


Vor vielen Jahren, als im Spessart die Wege noch schlecht und nicht so häufig als jetzt befahren waren, zogen zwei junge Bursche durch diesen Wald. Der eine mochte achtzehn Jahre alt sein und war ein Zirkelschmidt[1]; der andere, ein Goldarbeiter, konnte nach seinem Aussehen kaum sechzehn Jahre haben und tat wohl jetzt eben seine erste Reise in die Welt. Der Abend war schon heraufgekommen, und die Schatten der riesengroßen Fichten und Buchen verfinsterten den schmalen Weg, auf dem die beiden wanderten. Der Zirkelschmidt schritt wacker vorwärts und pfiff ein Lied, schwatzte auch zuweilen mit Munter, seinem Hund, und schien sich nicht viel darum zu kümmern, daß die Nacht nicht mehr fern, desto ferner aber die nächste Herberge sei; aber Felix, der Goldarbeiter, sah sich oft ängstlich um. Wenn der Wind durch die Bäume rauschte, so war es ihm, als höre er Tritte hinter sich; wenn das Gesträuch am Wege hin und her wankte und sich teilte, glaubte er Gesichter hinter den Büschen lauern zu sehen.

Der junge Goldschmidt war sonst nicht abergläubisch oder mutlos. In Würzburg, wo er gelernt hatte, galt er unter seinen Kameraden für einen unerschrockenen Burschen, dem das Herz am rechten Flecke sitze; aber heute war ihm doch sonderbar zu Mut. Man hatte ihm vom Spessart[2] so mancherlei erzählt; eine große Räuberbande sollte dort ihr Wesen treiben, viele Reisende waren in den letzten Wochen geplündert worden, ja man sprach sogar von einigen greulichen Mordgeschichten, die vor nicht langer Zeit dort vorgefallen seien. Da war ihm nun doch etwas bange


  1. Mechaniker[WS 1].
  2. Dieses Waldgebirge am Main stand Anfang des 19. Jahrhunderts noch in dem Rufe, der Schlupfwinkel von allerlei räuberischem Gesindel zu sein.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Zirkelschmied, so v. w. Zeugschmied.
    Zeugschmied (Sägeschmied), 1) ein Eisenarbeiter, welcher eiserne u. stählerne Werkzeuge, Sägen, Beile, Äxte, Nagelbohrer, Meisel, Hämmer, auch Kaffeemühlen u. dgl. verfertigt; 2) an einigen Orten so v. w. Grob- u. Hufschmied. aus: Pierer’s Universal-Lexikon, Band 19. Altenburg 1865, S. 655 und S. 592.
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Leipzig., Wien,: Bibliographisches Institut, 1891-1909, Seite 114-115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_058.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)