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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Fluß führen, der die Stadt durchströmt; da gewahrte er in dem einfachen Kleid eines Soldaten einen Mann, der am Brückengeländer lehnte und in die Wellen sah. Die Züge dieses Mannes fielen ihm auf, und er erinnerte sich, ihn schon gesehen zu haben. Er ging also schnell die Kammern seiner Erinnerung durch, und als er an die Pforte der Kammer von Egypten kam, da eröffnete sich ihm plötzlich das Verständnis, daß dieser Mann jener Feldherr der Franken sei, mit welchem er oft im Lager gesprochen, und der immer gütig für ihn gesorgt hatte; er wußte seinen rechten Namen nicht genau, er faßte sich daher ein Herz, trat zu ihm, nannte ihn, wie ihn die Soldaten unter sich nannten, und sprach, indem er nach seiner Landessitte die Arme über der Brust kreuzte: „Salem aleikum, Petit-Caporal!“

Der Mann sah sich erstaunt um, blickte den jungen Menschen mit scharfen Augen an, dachte über ihn nach und sagte dann: „Himmel, ist es möglich! Du hier, Almansor? Was macht dein Vater? Wie geht es in Egypten? Was führt dich zu uns hieher?“

Da konnte sich Almansor nicht länger halten; er fing an, bitterlich zu weinen und sagte zu dem Mann: „So weißt du also nicht, was die Hunde, deine Landsleute, mit mir gemacht haben, Petit-Caporal? Du weißt nicht, daß ich das Land meiner Väter nicht mehr gesehen habe seit vielen Jahren?“

„Ich will nicht hoffen“, sagte der Mann und seine Stirne wurde finster, „ich will nicht hoffen, daß man dich mit hinwegschleppte.“

„Ach, freilich“, antwortete Almansor; „an jenem Tag, wo eure Soldaten sich einschifften, sah ich mein Vaterland zum letztenmal; sie nahmen mich mit sich hinweg, und ein Hauptmann, den mein Elend rührte, zahlt ein Kostgeld für mich bei einem verwünschten Doktor, der mich schlägt und halb Hungers sterben läßt. Aber höre, Petit-Caporal“, fuhr er ganz treuherzig fort, „es ist gut, daß ich dich hier traf, du mußt mir helfen.“

Der Mann, zu welchem er dies sprach, lächelte und fragte, auf welche Weise er denn helfen sollte?

„Siehe“, sagte Almansor, „es wäre unbillig, wollte ich von dir etwas verlangen, du warst von jeher so gütig gegen mich; [105] aber ich weiß, du bist auch ein armer Mensch, und wenn du auch Feldherr warst, gingst du nie so schön gekleidet wie die anderen; auch jetzt mußt du, nach deinem Rock und Hut zu urteilen, nicht in den besten Verhältnissen sein. Aber da haben ja die Franken letzthin einen Sultan gewählt, und ohne Zweifel kennst du Leute, die sich ihm nahen dürfen, etwa einen Janitscharen-Aga, oder den Reis-Effendi, oder seinen Kapudan-Pascha[1], nicht?“

„Nun ja“, antwortete der Mann, „aber wie weiter?“

„Bei diesen könntest du ein gutes Wort für mich einlegen, Petit-Caporal, daß sie den Sultan der Franken bitten, er möchte mich freilassen; dann brauche ich auch etwas Geld zur Reise übers Meer; vor allem aber mußt du mir versprechen, weder dem Doktor noch dem arabischen Professor etwas davon zu sagen.“

„Wer ist denn der arabische Professor?“ fragte jener.

„Ach, das ist ein sonderbarer Mann; doch von diesem erzähle ich dir ein andermal. Wenn es die beiden hörten, dürfte ich nicht mehr aus Frankistan weg. Aber willst du für mich sprechen bei den Agas? Sage es mir aufrichtig!“

„Komm mit mir“, sagte der Mann, „vielleicht kann ich dir jetzt gleich nützlich sein.“

„Jetzt?“ rief der Jüngling mit Schrecken. „Jetzt um keinen Preis, da würde mich der Doktor prügeln; ich muß eilen, daß ich nach Hause komme.“

„Was trägst du denn in diesem Korb?“ fragte jener, indem er ihn zurückhielt. Almansor errötete und wollte es anfangs nicht zeigen; endlich aber sagte er: „Siehe, Petit-Caporal, ich muß hier Dienste tun wie der geringste Sklave meines Vaters. Der Doktor ist ein geiziger Mann und schickt mich alle Tage von unserem Hause eine Stunde weit auf den Gemüse- und Fischmarkt; da muß ich dann unter den schmutzigen Marktweibern einkaufen, weil es dort um einige Kupfermünzen wohlfeiler ist als in unserem Stadtteil. Siehe, wegen dieses schlechten Härings, wegen dieser Handvoll Salat, wegen dieses Stückchens Butter


  1. Der Janitscharen-Aga ist das Oberhaupt der türkischen Miliz (Janitscharen); der Kapudan-Pascha ist der türkische Großadmiral und Marineminster.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 104–105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_053.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)