Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke | |
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Die Grünwieseler schämten sich nicht wenig vor dem ganzen
Land. Ihr Trost war, daß dies alles mit unnatürlichen Dingen
zugegangen sei. Am meisten schämten sich aber die jungen Leute
in Grünwiesel, weil sie die schlechten Gewohnheiten und Sitten
des Affen nachgeahmt hatten. Sie stemmten von jetzt an keinen
Ellbogen mehr auf, sie schaukelten nicht mit dem Sessel, sie
schwiegen, bis sie gefragt wurden, sie legten die Brillen ab und
waren artig und gesittet wie zuvor, und wenn je einer wieder
in solche schlechte, lächerliche Sitten verfiel, so sagten die Grünwieseler:
„Es ist ein Affe.“ Der Affe aber, welcher so lange die
Rolle eines jungen Herrn gespielt hatte, wurde dem gelehrten
Mann, der ein Naturalienkabinett besaß, überantwortet. Dieser
läßt ihn in seinem Hof umhergehen, füttert ihn und zeigt ihn
als Seltenheit jedem Fremden, wo er noch bis auf den heutigen
Tag zu sehen ist.
Es entstand ein Gelächter im Saal, als der Sklave geendet
hatte, und auch die jungen Männer lachten mit. „Es muß doch
sonderbare Leute geben unter diesen Franken, und wahrhaftig,
da bin ich lieber beim Scheik und Mufti[1] in Alessandria als in
Gesellschaft des Oberpfarrers, des Bürgermeisters und ihrer
törichten Frauen in Grünwiesel!“
„Da hast du gewiß recht gesprochen“, erwiderte der junge Kaufmann; „In Frankistan möchte ich nicht tot sein. Die Franken sind ein rohes, wildes, barbarisches Volk, und für einen gebildeten Türken oder Perser müßte es schrecklich sein, dort zu leben.“
„Das werdet ihr bald hören“, versprach der Alte. „Soviel mir der Sklavenaufseher sagte, wird der schöne junge Mann dort vieles von Frankistan erzählen; denn er war lange dort und ist doch seiner Geburt nach ein Muselmann.“
„Wie, jener, der zuletzt sitzt in der Reihe? Wahrlich, es ist eine Sünde, daß der Herr Scheik diesen losgibt! Es ist der schönste [91] Sklave im ganzen Land; schaut nur dieses mutige Gesicht, dieses kühne Auge, diese schöne Gestalt! Er kann ihm ja leichte Geschäfte geben. Er kann ihn zum Fliegenwedeler machen oder zum Pfeifenträger. Es ist ein Spaß, ein solches Amt zu versehen, und wahrlich, ein solcher Sklave ist die Zierde von einem ganzen Haus. Und erst drei Tage hat er ihn und gibt ihn weg? Es ist Torheit, es ist Sünde!“
„Tadelt ihn doch nicht, ihn, der weiser ist als ganz Egypten!“ sprach der Alte mit Nachdruck; „Sagte ich euch nicht schon, daß er ihn losläßt, weil er glaubt, den Segen Allahs dadurch zu verdienen. Ihr sagt, er ist schön und wohlgebildet, und ihr sprecht die Wahrheit! Aber der Sohn des Scheik, den der Prophet in sein Vaterhaus zurückbringen möge, der Sohn des Scheik war ein schöner Knabe und muß jetzt auch groß sein und wohlgebildet. Soll er also das Gold sparen und einen wohlfeilen, verwachsenen Sklaven hingeben in der Hoffnung, seinen Sohn dafür zu bekommen? Wer etwas tun will in der Welt, der tue es lieber gar nicht, oder – recht!“
„Und sehet, des Scheiks Augen sind immer auf diesen Sklaven geheftet; ich bemerkte es schon den ganzen Abend. Während der Erzählungen streifte oft sein Blick dorthin, und verweilte auf den edeln Zügen des Freigelassenen. Es muß ihn doch ein wenig schmerzen, ihn freizugeben.“
„Denke nicht also von dem Mann! Meinst du, tausend Tomans[2] schmerzen ihn, der jeden Tag das Dreifache einnimmt?“ sagte der alte Mann; „Aber wenn sein Blick mit Kummer auf dem Jüngling weilt, so denkt er wohl an seinen Sohn, der in der Fremde schmachtet; er denkt wohl, ob dort vielleicht ein barmherziger Mann wohne, der ihn loskaufe und zurückschicke zum Vater.“
„Ihr mögt recht haben“, erwiderte der junge Kaufmann. „Und ich schäme mich, daß ich von den Leuten nur immer das Gemeinere und Unedle denke, während Ihr lieber eine schöne Gesinnung unterlegt. Und doch sind die Menschen in der Regel schlecht; habt Ihr dies nicht auch gefunden, Alter?“
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 90–91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_046.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)