Seite:De Wilhelm Hauff Bd 4 036.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

diesen oder jenen höchst sonderbaren Vorfall, der sich nachher ganz natürlich auflöst.“

„Und dennoch werdet ihr gestehen müssen“, fuhr der Alte fort, „daß jene Geschichten nicht der schlechteste Teil der ‚Tausendundeine Nacht‘ sind. Und doch, wie verschieden sind sie in ihren Ursachen, in ihrem Gang, in ihrem ganzen Wesen von den Märchen eines Prinzen Biribinker, oder der drei Derwische mit einem Aug’[1], oder des Fischers, der den Kasten, verschlossen mit dem Siegel Salomos, aus dem Meer zieht! Aber am Ende ist es dennoch eine Grundursache, die beiden ihren eigentümlichen Reiz gibt; nemlich das, daß wir etwas Auffallendes, Außergewöhnliches mit erleben. Bei dem Märchen liegt dieses Außergewöhnliche in jener Einmischung eines fabelhaften Zaubers in das gewöhnliche Menschenleben; bei den Geschichten geschieht etwas zwar nach natürlichen Gesetzen, aber auf überraschende, ungewöhnliche Weise.“

„Sonderbar!“ rief der Schreiber. „Sonderbar, daß uns dann dieser natürliche Gang der Dinge ebenso anzieht wie der übernatürliche im Märchen. Worin mag dies doch liegen?“

„Das liegt in der Schilderung des einzelnen Menschen“, antwortete der Alte; „im Märchen häuft sich das Wunderbare so sehr, der Mensch handelt so wenig mehr aus eigenem Trieb, daß die einzelnen Figuren und ihr Charakter nur flüchtig gezeichnet werden können. Anders bei der gewöhnlichen Erzählung, wo die Art, wie jeder seinem Charakter gemäß spricht und handelt, die Hauptsache und das Anziehende ist.“

„So die ‚Geschichte von dem gebackenen Kopf‘, die wir soeben gehört haben. Der Gang der Erzählung wäre im ganzen nicht auffallend, nicht überraschend, wäre er nicht verwickelt durch den Gang der Handelnden. Wie köstlich zum Beispiel ist die Figur des Schneiders. Man glaubt den alten, gekrümmten Mantelflicker vor sich zu sehen. Er soll zum erstenmal in seinem Leben einen tüchtigen Schnitt machen, ihm und seinem Weibe lacht [71] schon zum voraus das Herz, und sie traktieren sich mit recht schwarzem Kaffee. Welches Gegenstück zu dieser behäglichen Ruhe ist dann jene Szene, wo sie den Pack begierig öffnen und den gräulichen Kopf erblicken. Und nachher glaubt man ihn nicht zu sehen und zu hören, wie er auf dem Minarett umherschleicht, die Gläubigen mit mäckernder Stimme zum Gebet ruft und bei Erblickung des Sklaven plötzlich wie vom Donner gerührt verstummt? Dann der Barbier! Sehet ihr ihn nicht vor euch, den alten Sünder, der, während er die Seife anrührt, viel schwatzt und gerne verbotenen Wein trinkt? Sehet ihr ihn nicht, wie er dem sonderbaren Kunden das Barbierschüsselchen unterhält und – den kalten Schädel berührt? Nicht minder gut, wenn auch nur angedeutet, ist der Sohn des Bäckers, der verschmitzte Junge und der Bratenmacher Yanaki! Ist nicht das Ganze eine ununterbrochene Reihe komischer Szenen, scheint nicht der Gang der Geschichte, so ungewöhnlich er ist, sich ganz natürlich zu fügen? und warum? weil die einzelnen Figuren richtig gezeichnet sind und aus ihrem ganzen Wesen alles so kommen muß, wie es wirklich geschieht.“

„Wahrlich, Ihr habt recht!“ erwiderte der junge Kaufmann. „Ich habe mir nie Zeit genommen, so recht darüber nachzudenken, habe alles nur so gesehen und an mir vorübergehen lassen, habe mich an dem einen ergötzt, das andere langweilig gefunden, ohne gerade zu wissen, warum. Aber Ihr gebt uns da einen Schlüssel, der uns das Geheimnis öffnet, einen Probierstein, worauf wir die Probe machen und richtig urteilen können.“

„Tuet das immer“, antwortete der Alte, „und euer Genuß wird sich vergrößern, wenn ihr nachdenken lernet über das, was ihr gehört. Doch siehe, dort erhebt sich wieder ein Neuer, um zu erzählen.“

So war es, und der fünfte Sklave begann:





Der Affe als Mensch.


Herr! ich bin ein Deutscher von Geburt und habe mich in Euren Landen zu kurz aufgehalten, als daß ich ein persisches Märchen oder eine ergötzliche Geschichte von Sultanen und Vezieren erzählen könnte. Ihr müßt mir daher schon erlauben, daß


  1. Auch dies sind Erzählungen aus „Tausendundeiner Nacht“; die Geschichte von den drei Derwischen ist in Weils Übersetzung „Geschichte der drei Kalender“ überschrieben; die Geschichte von dem Fischer ist auch in der Auswahl aus „Tausendundeiner Nacht“ aufgenommen, die Meyers „Volksbücher“, Nr. 1001–1004 enthält.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 70–71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_036.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)