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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

auf der Fingerspitze wog, höhnte ihn noch Schnuri, der kaiserliche Spaßmacher, fragte ihn, ob seine Zechinen alle auf dem Steine sich bewährten, auf dem der Goldfuchs des Prinzen Abdallah sein Gebiß probiert habe. „Deine Weisheit hat heute Ruhm geerntet“, sprach er; „ich wollte aber noch fünfzig Zechinen wetten, es wäre dir lieber, du hättest geschwiegen. Aber wie spricht der Prophet? ‚Ein entschlüpftes Wort holt kein Wagen ein, und wenn er mit vier flüchtigen Rossen bespannt wäre.‘ Auch kein Windspiel holt es ein, Herr Abner, auch wenn es nicht hinkt.“

Nicht lange nach diesem für Abner schmerzlichen Ereignis ging er wieder einmal in einem der grünen Täler zwischen den Vorbergen des Atlas spazieren. Da wurde er, gerade wie damals, von einem einherstürmenden Haufen Gewaffneter eingeholt, und der Anführer schrie ihn an:

„He, guter Freund, hast du nicht Goro, den schwarzen Leibschützen des Kaisers, vorbeilaufen sehen? Er ist entflohen, er muß diesen Weg genommen haben ins Gebirg.“

„Kann nicht dienen, Herr General“, antwortete Abner.

„Ach, bist du nicht der pfiffige Jude, der den Fuchsen und den Hund nicht gesehen hat? Mach nur keine Umstände; hier muß der Sklave vorbeigekommen sein; riechst du vielleicht noch den Duft seines Schweißes in der Luft? Siehst du noch die Spuren seines flüchtigen Fußes im hohen Grase? Sprich, der Sklave muß herbei; er ist einzig im Sperlingschießen mit dem Blaserohr, und dies ist Sr. Majestät Lieblingszeitvertreib. Sprich, oder ich lasse dich sogleich krumm fesseln!“

„Kann ich doch nicht sagen, ich habe gesehen, was ich doch nicht hab’ gesehen.“

„Jude, zum letzten Male: wohin ist der Sklave gelaufen? denk an deine Fußsohlen, denk an deine Zechinen!“

„O weh geschrien! Nun, wenn Ihr absolut haben wollt, daß ich soll gesehen haben den Sperlingschützen, so lauft dorthin; ist er dort nicht, so ist er anderswo.“

„Du hast ihn also gesehen?“ brüllte ihn der Soldat an.

„Ja denn, Herr Offizier, weil Ihr es so haben wollt.“

Die Soldaten verfolgten eilig die angewiesene Richtung. Abner aber ging, innerlich über seine List zufrieden, nach Hause. [63] Kaum aber war er vierundzwanzig Stunden älter geworden, so drang ein Haufe von der Wache des Palastes in sein Haus und verunreinigte es, denn es war Sabbat, und schleppte ihn vor das Angesicht des Kaisers von Marok.

„Hund von einem Juden“, schnaubte ihn der Kaiser an, „du wagst es, kaiserliche Bediente, die einen flüchtigen Sklaven verfolgen, auf falsche Spur ins Gebirge zu schicken, während der Flüchtling der Meeresküste zueilt und beinahe auf einem spanischen Schiffe entkommen wäre? Greift ihn, Soldaten! Hundert auf die Sohlen! Hundert Zechinen aus dem Beutel! Um wie viel die Sohlen schwellen unter den Hieben, um so viel soll der Beutel einschnurren!“

Du weißt es, o Herr, im Reiche Fetz und Marokko liebt man schnelle Gerechtigkeit, und so wurde der arme Abner geprügelt und besteuert, ohne daß man ihn zuvor um seine Einwilligung befragt hätte. Er aber verfluchte sein Geschick, das ihn dazu verdammte, daß seine Sohlen und sein Beutel es hart empfinden sollten, so oft Se. Majestät geruhten, etwas zu verlieren. Als er aber brummend und seufzend unter dem Gelächter des rohen Hofvolks aus dem Saale hinkte, sprach zu ihm Schnuri, der Spaßmacher: „Gib dich zufrieden, Abner, undankbarer Abner! Ist es nicht Ehre genug für dich, daß jeder Verlust, den unser gnädiger Kaiser, den Gott erhalte, erleidet, auch dir empfindlichen Kummer verursachen muß? Versprichst du mir aber ein gut Trinkgeld, so komme ich jedesmal, eine Stunde bevor der Herr des Westen etwas verliert, an deine Bude in der Judengasse und spreche: ‚Gehe nicht aus deiner Hütte, Abner, du weißt schon warum; schließe dich ein in dein Kämmerlein bis zu Sonnenuntergang, beides unter Schloß und Riegel.‘“

Dies, o Herr, ist die Geschichte von Abner, der nichts gesehen hat.




Als der Sklave geendet hatte und es wieder stille im Saale geworden war, erinnerte der junge Schreiber den Alten, daß sie den Faden ihrer Unterhaltung abgebrochen hatten, und bat, ihnen nun zu erklären, worin denn eigentlich der mächtige Reiz des Märchens liege.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 62–63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_032.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)