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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

hinwegrückte; „aber die Souzeraine ist es denn doch nicht ganz; das habe ich mir wohl gedacht.“

Da runzelte der Herzog vor Unmut die Stirne und errötete vor Beschämung. „Hund von einem Zwerg!“ rief er. „Wie wagst du es, deinem Herrn dies anzutun? Soll ich dir deinen großen Kopf abhacken lassen zur Strafe für deine schlechte Kocherei?“

„Ach Herr! um des Himmels willen, ich habe das Gericht doch zubereitet nach den Regeln der Kunst, es kann gewiß nichts fehlen!“ so sprach der Zwerg und zitterte.

„Es ist eine Lüge, du Bube!“ erwiderte der Herzog und stieß ihn mit dem Fuße von sich. „Mein Gast würde sonst nicht sagen, es fehlt etwas. Dich selbst will ich zerhacken und backen lassen in eine Pastete!“

„Habt Mitleiden!“ rief der Kleine und rutschte auf den Knien zu dem Gast, dessen Füße er umfaßte. „Saget, was fehlt an dieser Speise, daß sie Eurem Gaumen nicht zusagt? Lasset mich nicht sterben wegen einer Handvoll Fleisch und Mehl!“

„Das wird dir wenig helfen, mein lieber Nase“, antwortete der Fremde mit Lachen; „das habe ich mir schon gestern gedacht, daß du diese Speise nicht machen kannst wie mein Koch. Wisse, es fehlt ein Kräutlein, das man hierzulande gar nicht kennt, das Kraut Niesmitlust; ohne dieses bleibt die Pastete ohne Würze, und dein Herr wird sie nie essen wie ich.“

Da geriet der Herrscher in Frankistan in Wut. „Und doch werde ich sie essen“, rief er mit funkelnden Augen; „denn ich schwöre auf meine fürstliche Ehre: entweder zeige ich Euch morgen die Pastete, wie Ihr sie verlanget, – oder den Kopf dieses Burschen, aufgespießt auf dem Tor meines Palastes. Gehe, du Hund, noch einmal geb ich dir vierundzwanzig Stunden Zeit.“

So rief der Herzog; der Zwerg aber ging wieder weinend in sein Kämmerlein und klagte der Gans sein Schicksal, und daß er sterben müsse; denn von dem Kraut habe er nie gehört. – „Ist es nur dies“, sprach sie, „da kann ich dir schon helfen; denn mein Vater lehrte mich alle Kräuter kennen. Wohl wärest du vielleicht zu einer andern Zeit des Todes gewesen; aber glücklicherweise ist es gerade Neumond, und um diese Zeit blüht das [51] Kräutlein. Doch sage an, sind alte Kastanienbäume in der Nähe des Palastes?“

„O ja!“ erwiderte Nase mit leichterem Herzen, „am See, zweihundert Schritte vom Haus, steht eine ganze Gruppe; doch warum diese?“

„Nur am Fuße alter Kastanien blüht das Kräutlein“, sagte Mimi. „Darum laß uns keine Zeit versäumen und suchen, was du brauchst; nimm mich auf deinen Arm und setze mich im Freien nieder; ich will dir suchen.“

Er tat, wie sie gesagt, und ging mit ihr zur Pforte des Palastes. Dort aber streckte der Türhüter sein Gewehr vor und sprach: „Mein guter Nase, mit dir ist’s vorbei, aus dem Hause darfst du nicht, ich habe den strengsten Befehl darüber.“

„Aber in den Garten kann ich doch wohl gehen?“ erwiderte der Zwerg. „Sei so gut und schicke einen deiner Gesellen zum Aufseher des Palastes und frage, ob ich nicht in den Garten gehen und Kräuter suchen dürfte?“ Der Türhüter tat also, und es wurde erlaubt; denn der Garten hatte hohe Mauern, und es war an kein Entkommen daraus zu denken. Als aber Nase mit der Gans Mimi ins Freie gekommen war, setzte er sie behutsam nieder, und sie ging schnell vor ihm her dem See zu, wo die Kastanien standen. Er folgte ihr nur mit beklommenem Herzen; denn es war ja seine letzte, einzige Hoffnung; fand sie das Kräutlein nicht, so stand sein Entschluß fest: er stürzte sich dann lieber in den See, als daß er sich köpfen ließ. Die Gans suchte aber vergebens, sie wandelte unter allen Kastanien, sie wandte mit dem Schnabel jedes Gräschen um, es wollte sich nichts zeigen, und sie fing aus Mitleid und Angst an zu weinen; denn schon wurde der Abend dunkler und die Gegenstände umher schwerer zu erkennen.

Da fielen die Blicke des Zwergs über den See hin, und plötzlich rief er: „Siehe, siehe, dort über dem See steht noch ein großer, alter Baum; laß uns dorthin gehen und suchen, vielleicht blüht dort mein Glück.“ Die Gans hüpfte und flog voran, und er lief nach, so schnell seine kleinen Beine konnten; der Kastanienbaum warf einen großen Schatten, und es war dunkel umher, fast war nichts mehr zu erkennen; aber da blieb plötzlich die

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 50–51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_026.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)