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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Guten Abend, Meister!“ sprach der Kleine, indem er vollends in den Laden trat. „Wie geht es Euch?“

„Schlecht, schlecht, kleiner Herr!“ antwortete der Vater zu Jakobs großer Verwunderung; denn er schien ihn auch nicht zu kennen. „Das Geschäft will mir nicht mehr von der Hand. Bin so allein und werde jetzt alt; und doch ist mir ein Geselle zu teuer.“

„Aber habt Ihr denn kein Söhnlein, das Euch nach und nach an die Hand gehen könnte bei der Arbeit?“ forschte der Kleine weiter.

„Ich hatte einen, er hieß Jakob und müßte jetzt ein schlanker, gewandter Bursche von zwanzig Jahren sein, der mir tüchtig unter die Arme greifen könnte. Ha, das müßte ein Leben sein! Schon als er zwölf Jahre alt war, zeigte er sich so anstellig und geschickt und verstand schon manches vom Handwerk, und hübsch und angenehm war er auch; der hätte mir eine Kundschaft hergelockt, daß ich bald nicht mehr geflickt, sondern nichts als Neues geliefert hätte! Aber so geht’s in der Welt!“

„Wo ist denn aber Euer Sohn?“ fragte Jakob mit zitternder Stimme seinen Vater.

„Das weiß Gott“, antwortete er; „vor sieben Jahren, ja, so lange ist’s jetzt her, wurde er uns vom Markt weggestohlen.“

„Vor sieben Jahren!“ rief Jakob mit Entsetzen.

„Ja, kleiner Herr, vor sieben Jahren; ich weiß noch wie heute, wie mein Weib nach Hause kam, heulend und schreiend, das Kind sei den ganzen Tag nicht zurückgekommen, sie habe überall geforscht und gesucht und es nicht gefunden. Ich habe es immer gedacht und gesagt, daß es so kommen würde; der Jakob war ein schönes Kind, das muß man sagen; da war nun meine Frau stolz auf ihn und sah es gerne, wenn ihn die Leute lobten, und schickte ihn oft mit Gemüse und dergleichen in vornehme Häuser. Das war schon recht; er wurde allemal reichlich beschenkt; aber, sagte ich, gib acht! die Stadt ist groß; viele schlechte Leute wohnen da, gib mir auf den Jakob acht! Und so war es, wie ich sagte. Kommt einmal ein altes, häßliches Weib auf den Markt, feilscht um Früchte und Gemüse und kauft am Ende so viel, daß sie es nicht selbst tragen kann. Mein Weib, [35] die mitleidige Seele, gibt ihr den Jungen mit und – hat ihn zur Stunde nicht mehr gesehen.“

„Und das ist jetzt sieben Jahre, sagt Ihr?“

„Sieben Jahre wird es im Frühling. Wir ließen ihn ausrufen, wir gingen von Haus zu Haus und fragten; manche hatten den hübschen Jungen gekannt und liebgewonnen und suchten jetzt mit uns – alles vergeblich. Auch die Frau, welche das Gemüse gekauft hatte, wollte niemand kennen; aber ein steinaltes Weib, die schon neunzig Jahre gelebt hatte, sagte, es könne wohl die böse Fee Kräuterweis gewesen sein, die alle fünfzig Jahre einmal in die Stadt komme, um sich allerlei einzukaufen.“

So sprach Jakobs Vater und klopfte dabei seine Schuhe weidlich und zog den Draht mit beiden Fäusten weit hinaus. Dem Kleinen aber wurde es nach und nach klar, was mit ihm vorgegangen, daß er nämlich nicht geträumt, sondern daß er sieben Jahre bei der bösen Fee als Eichhörnchen gedient habe. Zorn und Gram erfüllte sein Herz so sehr, daß es beinahe zersprengen wollte. Sieben Jahre seiner Jugend hatte ihm die Alte gestohlen, und was hatte er für Ersatz dafür? Daß er Pantoffel von Kokosnüssen blank putzen, daß er ein Zimmer mit gläsernem Fußboden rein machen konnte! Daß er von den Meerschweinchen alle Geheimnisse der Küche gelernt hatte! Er stand eine gute Weile so da und dachte über sein Schicksal nach; da fragte ihn endlich sein Vater: „Ist Euch vielleicht etwas von meiner Arbeit gefällig, junger Herr? etwa ein Paar neue Pantoffel, oder“, setzte er lächelnd hinzu, „vielleicht ein Futteral für Eure Nase?“

„Was wollt Ihr nur mit meiner Nase?“ fragte Jakob, „warum sollte ich denn ein Futteral dazu brauchen?“

„Nun“, entgegnete der Schuster, „jeder nach seinem Geschmack! Aber das muß ich Euch sagen: hätte ich diese schreckliche Nase, ein Futteral ließ ich mir darüber machen von rosenfarbigem Glanzleder. Schaut, da habe ich ein schönes Stückchen zur Hand; freilich würde man eine Elle wenigstens dazu brauchen. Aber wie gut wäret Ihr verwahrt, kleiner Herr! So, weiß ich gewiß, stoßt Ihr Euch an jedem Türpfosten, an jedem Wagen, dem Ihr ausweichen wollet.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 34–35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_018.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)