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Ali Banu hatte ein herrliches Haus auf dem schönsten Platz von Alessandria. Vor dem Hause war eine weite Terrasse, mit Marmor ummauert, beschattet von Palmbäumen. Dort saß er oft abends und rauchte seine Wasserpfeife. In ehrerbietiger Entfernung harrten dann zwölf reichgekleidete Sklaven seines Winkes; der eine trug seinen Betel[1], der andere hielt seinen Sonnenschirm, ein dritter hatte Gefäße von gediegenem Golde, mit köstlichem Sorbet[2] angefüllt, ein vierter trug einen Wedel von Pfauenfedern, um die Fliegen aus der Nähe des Herrn zu verscheuchen; andere waren Sänger und trugen Lauten und Blasinstrumente, um ihn zu ergötzen mit Musik, wenn er es verlangte, und der gelehrteste von allen trug mehrere Rollen, um ihm vorzulesen.

Aber sie harreten vergeblich auf seinen Wink; er verlangte nicht Musik noch Gesang, er wollte keine Sprüche oder Gedichte weiser Dichter der Vorzeit hören, er wollte keinen Sorbet zu sich nehmen, noch Betel kauen; ja, selbst der mit dem Fächer aus Pfauenfedern hatte vergebliche Arbeit; denn der Herr bemerkte es nicht, wenn ihn eine Fliege summend umschwärmte.

Da blieben oft die Vorübergehenden stehen, staunten über die Pracht des Hauses, über die reichgekleideten Sklaven und über die Bequemlichkeit, womit alles versehen war; aber wenn sie dann den Scheik ansahen, wie er so ernst und düster unter den Palmen saß, sein Auge nirgends hinwandte als auf die bläulichen Wölkchen seiner Wasserpfeife, da schüttelten sie die Köpfe und sprachen: „Wahrlich, der reiche Mann ist ein armer Mann. Er, der viel hat, ist ärmer, als der nichts hat; denn der Prophet hat ihm den Verstand nicht gegeben, es zu genießen.“ So sprachen die Leute, lachten über ihn und gingen weiter.

Eines Abends, als der Scheik wiederum vor der Türe seines Hauses unter den Palmen saß, umgeben von allem Glanz der Erde, und traurig und einsam seine Wasserpfeife rauchte, standen nicht ferne davon einige junge Leute, betrachteten ihn und lachten.

„Wahrlich“, sprach der eine, „das ist ein törichter Mann, der Scheik Ali Banu. Hätte ich seine Schätze, ich wollte sie anders anwenden. Alle Tage wollte ich leben herrlich und in Freuden. Meine Freunde müßten bei mir speisen in den großen Gemächern des Hauses, und Jubel und Lachen müßten diese traurigen Hallen füllen.“

„Ja“, erwiderte ein anderer. „Das wäre nicht so übel; aber viele Freunde zehren ein Gut auf, und wäre es so groß als das des Sultans, den der Prophet segne. Aber säße ich abends so unter den Palmen auf dem schönen Platze hier, da müßten mir die Sklaven dort singen und musizieren, meine Tänzer müßten kommen und tanzen und springen und allerlei wunderliche Stücke aufführen. Dazu rauchte ich recht vornehm die Wasserpfeife, ließe mir den köstlichen Sorbet reichen und ergötzte mich an all diesem wie ein König von Bagdad.“

„Der Scheik“, sprach ein dritter dieser jungen Leute, der ein Schreiber war, „der Scheik soll ein gelehrter und weiser Mann sein, und wirklich, seine Vorlesungen über den Koran zeugen von Belesenheit in allen Dichtern und Schriften der Weisheit. Aber ist auch sein Leben so eingerichtet, wie es einem vernünftigen Mann geziemt? Dort steht ein Sklave mit einem ganzen Arm voll Rollen; ich gäbe mein Festkleid dafür, nur eine davon lesen zu dürfen; denn es sind gewiß seltene Sachen. Aber er! Er sitzt und raucht und läßt Bücher – Bücher sein. Wäre ich der Scheik Ali Banu, der Kerl müßte mir vorlesen, bis er keinen Atem mehr hätte, oder bis die Nacht heraufkäme. Und auch dann noch müßte er mir lesen, bis ich entschlummert wäre.“

„Ha! Ihr wißt mir recht, wie man sich ein köstliches Leben einrichtet“, lachte der vierte. „Essen und Trinken, Singen und Tanzen, Sprüche lesen und Gedichte hören von armseligen Dichtern! Nein, ich würde es ganz anders machen. Er hat die herrlichsten Pferde und Kamele und Geld die Menge. Da würde ich an seiner Stelle reisen, reisen bis an der Welt Ende, und selbst zu den Moskowitern, selbst zu den Franken[3]. Kein Weg wäre


  1. Betel, ein von vielen asiatischen Völkern gebrauchtes Kaumittel, das aus den Blättern des Betelpfeffers, der Arekanuß und gebranntem Kalk besteht, einen angenehmen Geruch des Atems erzeugt und auch als Heilmittel dient.
  2. Sorbet, orientalisches Getränk, eine Art Limonade aus dem Safte des Granatapfels, aus Zitronensäure und Zucker bereitet.
  3. Mit dem Namen „Franken“ bezeichnen die Orientalen die Europäer.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 16–17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_009.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)