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und zitternd vor ihnen; der General, welcher seitwärts stand, schien verlegen und ängstlich. Aber so schnell war dieser Schreck, so groß die Furcht Annas vor ihrem Vater und so furchtbar sein Anblick, daß sie zu schwanken anfing, und hätte der General sie nicht unterstützt, sie wäre in die Kniee gesunken.

„Sind das die gerühmten Sitten Ihres Herrn Sohnes“, wandte sich der Alte bitter lachend zu dem General, indem er bald den Sohn, bald den Vater ansah. „Heißt das, was Sie mir vorzumalen suchten, sich in den zartesten Grenzen des Anstandes halten? Herr! wie kommen Sie dazu, mit meiner Tochter allein auf ihrem Zimmer zu sein?“

„Onkel –“, rief Rantow, um ihn zu belehren.

„Schweig’, Bursche!“ antwortete ihm der zürnende Alte, indem er immer den jungen Willi mit glühenden Blicken ansah.

„Ich denke“, erwiderte dieser ruhig und mit stolzer Fassung, „die Erziehung Ihrer Tochter und Annas Sitten müßten Ihnen Bürge sein, daß ein Mann, selbst wenn er allein käme, sie besuchen dürfte, vorausgesetzt, sie will ihn empfangen, und über den letzteren Punkt steht nach allen Gesetzen der guten Sitte der jungen Dame selbst, nicht aber Ihnen, Herr von Thierberg, die Entscheidung zu.“

Diese Worte schienen seinen Eifer noch mehr zu entflammen, er atmete tief auf, aber in diesem Augenblick trat sein Neffe mutig dazwischen und redete ihn auf eine Weise an, die, wie ihn sein kurzer Aufenthalt bei den Thierbergs gelehrt hatte, die Wirkung nicht verfehlen konnte. „Herr von Thierberg“, rief er bestimmt und mit ernster Miene, „Sie haben mir vorhin zu schweigen geboten, ich werde aber nicht schweigen, wenn man meine Ehre zu nahe tritt. Ich bin es gewesen, der Herrn von Willi hieher führte, ich bin es gewesen, der ihn hier unterhielt, und er hat mich hieher begleitet, weil ich ihn darum gebeten habe.“

„Du warst zugegen?“ fragte der Oheim mit etwas gemilderter Stimme. „Aber, was Teufel, geht dich das Zimmer meiner Tochter an? Was hattest du hier zu suchen?“

Mit einer theatralischen Wendung und sprechender Miene wandte sich der Neffe gegen die Hinterwand des Zimmers, deutete [545] mit dem ausgestreckten Arm hin und sprach: „Hier steht, was ich suchte.“

Der Alte trat mit schnelleren Schritten, als seine Krankheit erlaubte, näher. Er betrachtete das Bild und blieb mit einem Ausdruck des Erstaunens stehen; seine trotzige Miene klärte sich auf, seine Stirn entfaltete sich, sein blitzendes Auge schimmerte nur noch von Rührung und Freude. „Gott im Himmel!“ rief er aus, indem er das Mützchen abnahm, das er beständig trug. „Wer hat mir das gethan, woher, woher habt ihr ihn? Wer hat ihn meinen Gedanken nachgebildet, wer hat mir diese Züge, diese Augen hier, hier aus meinem Herzen herausgestohlen?“

Die Männer sahen sich staunend an, betreten richtete sich Anna auf und trat näher, denn sie besorgte, ihr alter Vater rede irre. „Wer hat dies Bild hieher gestellt?“ fragte er nach einer Pause, indem er sich umwandte, und alle sahen Thränen in seinen Augen glänzen.

„Ich, mein Vater“, sagte Anna zögernd.

„O du gutes Kind“, fuhr er fort, indem er sie in seine Arme schloß. „Wie Unrecht habe ich dir vorhin gethan! Als ich in dieses Zimmer trat, glaubte ich, du habest mich tief gekränkt, und doch hast du mich so unendlich erfreut! – Kennst du ihn, Hans?“ wandte er sich an seinen Diener. „Kennst du ihn nicht wieder?“

„Gott straf’ mich – er ist’s!“ erwiderte der alte Reitknecht. „Solche schreckliche Augen machte er gegen die fünf Buschklepper, die uns auszogen, o, das war ein braver Herr!“

Die, welche den Herrn und seinen Diener so sprechen hörten, konnten sich von ihrem Staunen kaum erholen, sie sahen sich lächelnd an, als ahnen sie eine sonderbare Fügung des Geschicks, als sei ein schweres Gewitter segnend über ihnen hinweggezogen. Der General aber, der bald Anna, bald das Bild mit blitzenden Augen betrachtet hatte, trat näher heran und fragte den alten Thierberg, wen er denn in diesem Bilde wiedererkenne?

„Das ist derselbe Kapitän“, antwortete er, „der mich am Fuß des St. Bernhard aus der Gewalt ruchloser Soldaten errettete; wie? Er ist derselbe, von welchem ich Ihnen so oft erzählte;

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 544–545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_275.png&oldid=- (Version vom 17.5.2018)