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denn durch ein Wunder in einen Demagogen oder der Demagoge in einen rechtgläubigen Verehrer der alten Reichsritterschaft verwandeln.“


11.

Es hatte dem General Willi nicht geringe Mühe gekostet, von seinem Sohn das Unglück einer längeren Gefangenschaft abzuwenden. Sein Ansehen war zwar in der Hauptstadt jenes Landes, welchem sein Gut angehörte, durch den Wechsel der Verhältnisse und Meinungen nicht gesunken; man verehrte in ihm einen Mann von hohem Verdienst, militärischer Umsicht und Tapferkeit, und es gab manche, die ihn wegen seiner treuen und ausdauernden Anhänglichkeit an jenen Mann, der einst das Schicksal Europas in der Rechten getragen, bewunderten; es gab viele, die ihm, wenn sie auch diese Bewunderung nicht teilten, doch wegen der Beharrlichkeit und Charakterstärke, die er in den Tagen des Unglücks entfaltet hatte, wohlwollten. Dennoch mußte er sein ganzes Ansehen aufbieten, manche Thüre öffnen, um seinem Sohn, den man des Verdachtes, mit Verdächtigen in Verbindung zu stehen, beschuldigte, nützen zu können.

Der General war ein Mann von zu großem Rechtsgefühl, als daß er, wenn er seinen Sohn schuldig glaubte, diese Schritte für ihn gethan hätte. Aber es genügte ihm an der einfachen Versicherung seines Sohnes. „Ich teile“, hatte er ihm gesagt, als er verhaftet wurde, „ich teile im allgemeinen die Gesinnungen jener Männer, die man jetzt zur Untersuchung zieht, aber – ich teile weder ihre Pläne, noch die Ansichten, die sie über die Mittel zum Zweck haben. Ich habe nur gedacht, nie gehandelt, habe mir selbst gelebt, nicht mit andern, und Beschuldigungen, welche andere treffen mögen, werden nie auf mich kommen.“ So war es denn gelungen, den jungen Willi auf so lange frei zu machen, als nicht stärkere Beweise, die gegen ihn vorgebracht würden, seine Anwesenheit vor den Gerichten notwendig machten, eine Schonung, die er nur der Fürsprache seines Vaters und dem Vertrauen verdankte, das man in die Bürgschaft des Generals Willi setzte.

[531] Sie konnten sich beide wohl denken, welches Aufsehen dieser Vorfall in der Umgegend von Neckareck gemacht haben mußte; hätten sie in einer Stadt gewohnt, so würden sie sich wohl damit begnügt haben, ihren Bekannten von ihrer Rückkunft Nachricht zu geben; aber die Sitte auf dem Land fordert größere Aufmerksamkeit für gute Nachbarn; man mußte fünf oder sechs Familien im Umkreis von drei Stunden besuchen, mußte ihre Neugierde über diesen Vorfall umständlich befriedigen; kurz, man mußte sich zeigen, wie man sich etwa nach einer überstandenen Krankheit bei den Bekannten wieder zeigt und für ihre Teilnahme Dank sagt. Als aber der General mit seinem Sohn am dritten Tag nach ihrer Rückkehr nach Thierberg aufbrach, war es noch ein anderer Grund als Höflichkeit gegen gute Nachbarn, was sie dorthin zog. Der junge Willi mochte in den einsamen Wochen seiner Gefangenschaft Zeit gefunden haben, über sein Leben und Treiben nachzudenken, er mochte gefunden haben, daß ihn jene politischen Träume, welchen er nachgehängt hatte, nicht befriedigen könnten, daß es ein höheres, reineres Interesse gebe, wodurch sein Leben Bedeutung und Gehalt, seine Seele Ruhe und Zufriedenheit gewänne.

Der General lächelte, als ihm Robert sein Verhältnis zu Anna entdeckte und die Wünsche auszusprechen wagte, die sich mit dem Gedanken an die Geliebte verbanden. Er lächelte und gestand seinem Sohn, daß er längst dieses Verhältnis geahnet, daß er gewünscht habe, das unruhige Treiben des jungen Mannes möchte eine festere Richtung annehmen. „Ich kenne dich“, sagte er ihm, „wärest du zu jener Zeit jung gewesen, wo wir in Europa umherzogen, um Krieg zu führen, so hätte deine Phantasie mit aller Kraft die großartigen Bilder des Krieges ergriffen, ich hätte dir den ersten Raum geöffnet, du selbst hättest dann deine Laufbahn gemacht. Daß du in diesen stillen Feiertagen des Jahrhunderts nicht dienen willst, kann ich dir nicht übelnehmen. Des Umherschweifens in der Welt bist du satt, das Leben in den Salons genügt dir nicht, so bleibe bei mir; besorge an meiner Statt meine Güter, ich kann dabei nur gewinnen; ich gewinne Zeit für mich und meine Erinnerungen, gewinne dich, und –“, setzte er

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 530–531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_268.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)