Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 264.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

schnelle Bewegung hatten seine Kräfte beinahe erschöpft, aber dieser beunruhigende Anblick trieb ihn zu noch rascherem Laufen; in wenigen Minuten langte er an dem Schloß an, aber er mußte sich an die Pforte lehnen und nach Atem suchen, ehe er eintrat.

Der erste, dem er an der erleuchteten Treppe begegnete, war der Gardist, ein alter, französischer Kriegsgefährte des Generals, der jetzt mehr den Haushofmeister als den Diener spielte. Er schien bleicher als sonst und schlich trübselig die Treppe herab. „Wo ist Euer junger Herr?“ rief Albert hastig. „Führt mich schnell zu ihm.“

„Sacre bleu!“ antwortet der Gardist erstaunt, als er den jungen Mann erkannte. „Weiß es Fräulein Anna schon? O la pauvre enfant!“

„Wo ist Robert?“ rief Rantow drängender.

„Il est prisonnier!“ erwiderte er traurig. „Auf die Festung gebracht comme ennemi de la patrie, comme democrate; vier Dragons de la gensdarmerie haben ihn eskortiert, o, mein armer Monsieur Robert!“

„Führet mich zum General!“ sagte Rantow, als er diese Nachricht hörte.

„Monsieur le Général est sorti.“

„Wohin?“ rief der junge Mann, unwillig darüber, daß er jedes Wort dem alten Soldaten abfragen mußte.

„Mit seinem Sohn à la capitale, zu fragen, was Monsieur de Willi verschuldet.“

Als Rantow sah, daß hier nichts mehr zu thun sei, suchte er einen andern Bedienten auf und ließ sich die näheren Umstände der Verhaftung erzählen. Er hörte, daß spät abends, in Roberts Abwesenheit, ein Kommissär angekommen sei, der nach einer kurzen Rücksprache mit dem General die Papiere des jungen Willi untersucht und teilweise versiegelt habe. Darauf sei Robert nach Hause gekommen und habe sich gutwillig darein ergeben, dem Kommissär zu folgen; er habe seinem Vater das Wort darauf gegeben, daß man ihn unschuldig finden werde; das letztere hatte der General einem Bedienten befohlen, am nächsten Morgen dem Herrn von Thierberg und seiner Familie zu sagen; er habe sich dann zu [523] Pferd gesetzt und sei, nur von einem Bedienten begleitet, vom Schloß weggeritten. Der junge Willi selbst hatte weder nach Thierberg noch sonst wohin Aufträge zurückgelassen.

So viel erfuhr Albert, und diese Nachrichten waren nicht dazu geeignet, ihn auf dem Rückweg freudiger zu stimmen. Er konnte auf den Trost, welchen Robert seinem Vater gegeben, keine große Hoffnung bauen, und vor allem war ihm vor dem Augenblick bange, wo er die schmerzliche Kunde der trauernden Anna bringen sollte.


10.

Es waren seit jener traurigen Nacht mehrere Wochen verstrichen; sie deuchten der armen Anna eben so viele Monate. Das Laub der Bäume fing schon an, sich zu bräunen, der Herbst mit seinem fröhlichen Gefolge war in das Thal eingezogen, Gesang und Jubel schallte von den Rebhügeln, schallte antwortend aus dem Fluß herauf, welcher Kähne, mit Trauben schwer belastet, abwärts trug. Als würde einem verwegenen, in diesen Bergen eingedrungenen Feind ein Gefecht geliefert, so krachte Büchsen- und Pistolenfeuer aus den Weinbergen; doch nicht das Wutgeschrei zurückgeworfener Kolonnen, sondern das Jauchzen einer freudeberauschten Menge stieg auf, wenn die Gewehre recht laut knallten, oder wenn die vorspringenden Ecken der Bergreihen die tiefere Stimme eines Pfundböllers zehnfach nachriefen.

Mit verschiedenen Empfindungen sahen die Bewohner des Schlosses Thierberg diesem fröhlichen Treiben von einer altertümlichen Terrasse des Schlosses zu. Der junge Rantow blickte unverwandt und mit glänzenden Augen auf dieses Schauspiel, das ihm ebenso neu als anziehend erschien. Er hatte in seiner Heimat, im Kreise vertrauter Freunde, oft bemerkt, wie der Wein, diese Himmelsgabe, die Wangen freundlicher färbte, die Zungen löste und zu traulichem Gespräch, wohl auch zum Gesang, selbst die Ernsteren fortriß; doch nie hatte er gedacht, daß eine noch rauschendere Freude, ein höherer Jubel mit der Bereitung des fröhlichen Trankes sich verbinden könnte. Wie poetisch deuchte ihm dieses lebhafte Gemälde! Welch frische, natürliche Bilder

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 522–523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_264.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)