Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 261.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Federn auf seinem Hut, womit sich damals die republikanischen Offiziere schmückten. Die Bajonette des Regiments blitzten über den nächsten Hügel herab, und die Musiker begannen eben ihr ‚Allons enfants‘, als er aufs Pferd stieg; er gab mir noch einige Verhaltensregeln, drückte mir lächelnd die Hand, und unter dem ‚Marchons, ça ira!‘ setzte er den Berg hinan. Noch heute steht dieser liebenswürdige, interessante junge Mann vor meinen Augen, wie er den Fuß der Alpe hinanritt, der Wind in seinem Mantel, in seinen Federn wehte und er grüßend noch einmal sein geistreiches Gesicht nach mir umwandte. Damals, aber nur einen Augenblick lang, und ich weiß heute noch nicht warum, schlug mein Herz für diese Franzosen, und solgange ich die Musik hören konnte, sang ich das Allons enfants und das Marchons ça ira mit. Nachher freilich schämte ich mich meiner Schwäche, haßte dieses Volk nach wie vorher, und nur mein Retter in der Not, mein Kapitän, steht in meinem dankbaren Gedächtnis.“

„Allerdings ein wunderbarer Fall“, sagte Rantow, als der Alte nicht ohne tiefe Rührung geendet hatte. „Artige und honette Leute gab es zwar immer unter diesen Truppen, aber die gute Disziplin war ungleich seltener. Ich hätte mögen den Schrecken jener fünf Soldaten sehen.“

„Nun Hans“, sagte Anna zu dem Diener, der aufmerksam und gespannt zuhorchte, „du hast sie ja gesehen.“

„Ich sag’ Ihnen, gnädiges Fräulein, wie aus Stein gemeißelt standen sie vor dem Kapitän und schämten sich, und Augen hat er auf sie dargemacht, wie der Lindwurm auf den Ritter Sankt Georg. Als die Franzosen nachher zu uns herauskamen, bin ich oft halbe Tage lang an der Landstraße von Heidelberg gestanden und habe sie Regiment für Regiment defilieren lassen, aber der Kapitän war nie dabei; der ist wohl schon lange tot.“

„Ehre und Segen mit seinem Andenken, wo er auch sein möge“, sprach der alte Thierberg. „Ist er gestorben, so hat er doch alles, was nachher in der Welt Ungerechtes und Frevelhaftes geschah, nicht mehr mitmachen müssen. Vielleicht hat er sich auch vom Dienst zurückgezogen, als der Diktator sich zum Kaiser [517] machte, denn mein braver Kapitän, der so nobel dachte, kann kein Freund des übermütigen Corsen gewesen sein.“

Anna lächelte, aber sie mochte das Lieblingsthema ihres alten Vaters, die Geschichte „vom besten Franzosen“, nicht durch eine Apologie jenes großen Sohnes einer kleinen Insel stören.


9.

Man hatte sich heute früher getrennt als sonst, und Albert, den der Schlaf noch nicht besuchen wollte, stand unter dem Bogenfenster seines altertümlichen Zimmers und schaute in das Thal hinab. Er dachte nach über alle Worte seiner schönen Kousine, er fand so viel Stoff, sie anzuklagen und sich zu bedauern, daß er das erste Mal in seinem Leben im Ernste sich selbst sehr schwermütig erschien. Dieses eine Mal nach so vielen flatterhaften und flüchtigen Geschichten war er sich recht klar und deutlich bewußt, ernstlich zu lieben; niemals zuvor hatte er einem Gedanken an ein häusliches Verhältnis, an das Glück der Ehe Raum gegeben, und nur erst diesem fröhlichen, unbefangenen Geschöpf war es gelungen, seine Ansichten über seine Zukunft ernster, seine Gefühle würdiger zu machen. Er wunderte sich, gerade da zurückgewiesen zu werden, wo er es wirklich redlich meinte, es befremdete ihn, gerade in jenen Augen als flüchtig und kokett zu erscheinen, die ihn so unwiderstehlich angezogen, gefesselt hatten; er schämte sich, daß bei diesem natürlichen Kind seine sonst überall anerkannten Vorzüge ohne Wirkung bleiben sollten; er sah darin ein böses Vorzeichen, denn seine bisherige Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß die Überraschung, daß der erste Eindruck entscheiden müsse.

Aus diesen Gedanken weckte ihn eine Flöte, die wie am gestrigen Abend süße Töne vom Wald herüberhauchte. Aufs neue erwachte in ihm der Gedanke, daß diese Serenade wohl Anna gelten könnte. Er sah schärfer nach dem Wald hinüber, und er irrte sich nicht, es war jene Waldecke, die er heute besucht hatte, woher die Töne kamen. Schnell warf er seinen Mantel über, eilte hinab und bat den alten Hans, ihm das Thor zu öffnen; er gab vor auf einem Platz im Wald unweit des Schlosses ein Taschenbuch zurückgelassen zu haben, dem der Nachttau schaden

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 516–517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_261.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)