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Rantow hätte in diesem Augenblick viel darum gegeben, an der Stelle des jungen Willi neben ihr gehen zu dürfen, denn nie hatte ihm ihr Auge so schön, ihre Stimme so klangvoll und rührend gedeucht, als in diesem Augenblick.

„Sie ist ein sonderbares, aber treffliches Kind“, sagte der General, indem er ihr lächelnd nachblickte. „Wenn sie ihm doch alle seine Schwärmereien aus dem Kopfe reden könnte! Aber so wird er nie glücklich werden; denken Sie, Rantow! er hat oft Stunden, wo es ihm lächerlich, ja thöricht erscheint, daß er in meinem bequemen Schloß wohnt und Nachbar Görge und Michel, die doch auch ‚deutsche Männer‘ sind, nur mit einer schlechten Hütte sich begnügen müssen. Das ist eine sonderbare Jugend, das nennen Sie jetzt Freiheitssinn! Und doch ist er sonst ein so wackerer und vernünftiger Junge.“

„Ein liebenswürdiger, trefflicher Mensch“, bemerkte Albert, indem er oft unruhige Blicke nach jenen Bäumen streifen ließ, unter welchen Willi und Anna wandelten. „Ich darf Ihnen sagen, daß ich über seine Gewandtheit, über die feinen gesellschaftlichen Formen staunte, die er so unbefangen entwickelt, er muß viel und lange in guten Zirkeln gelebt haben; und dennoch so sonderbare, spießbürgerliche Pläne!“

„Er war in London, Paris und Rom“, sagte der General gleichgültig, „und er lebte dort unter meinen Freunden. Ich glaubte, Lafayette[1] und Foy[2] haben mir ihn verzogen.“

„Wie! Lafayette, Foy, hat er diese gesehen?“ fragte Rantow staunend.

„Er war täglich in der Umgebung beider Männer, und sie fanden an dem Jungen mehr, als ich erwarten konnte. Da hörte er nun die Amerikaner und die Herren von der linken Seite; und [507] weil er manche der exaltiertesten Schreier als meine alten Freunde kannte, glaubte er in seinem jugendlichen Eifer, es müsse alles wahr sein, was sie schwatzen, und fand sich am Ende geschickt, selbst mit zu reformieren. Da ist er nun mit allen unruhigen Köpfen in diesem ruhigen Deutschland bekannt. Keine Woche vergeht, ohne daß sie einen jener ‚deutschen Radikalreformer‘, mit langen Haaren, Stutzbärtchen, Beilstöcken und sonderbaren Röcken in meinen Hof bringt; sie nennen ihn Bruder und sind so wunderliche Leute, daß sie alle Briefe an meinen Robert mit einem ‚deutschen Gruß zuvor‘ anfangen.“

„Ich kenne diese Leute“, bemerkte Albert mit wegwerfender Miene; „sie zeigen sich auch bei uns zu Hause. Aber wie kann nur ein Mann von so glänzenden Anlagen für ein anständigeres Leben und für die gute Gesellschaft, wie Robert, mit so gemeinen Menschen umgehen, die im Bier ihr höchstes Glück finden, rauchend durch die Straßen gehen, in gemeinen Schenken umherliegen und alles Noble, Feine gering achten?“

Gemein, lieber Herr von Rantow, habe ich sie noch nie gefunden“, erwiderte der General lächelnd, „was ich unter gemein verstehe; daß sie rauchen, macht sie höchstens für einen Nichtraucher unangenehm, daß sie Bier trinken, geschieht wohl aus Armut, denn meinen Wein haben sie nicht verachtet, und von der bonne société denken sie gerade wie ich; sie langweilen sich dort und finden das Steife gezwungen und das Gezierte lächerlich. Sonst fand ich sie unterrichtet, vernünftig, und nur in ihrer Kleidung und in ihren Träumereien dachte ich mit Anna an Don Quixote und fand es komisch, daß sie sich berufen glauben, die Welt zu erlösen von allem Übel.“

Der junge Mann verbeugte sich stillschweigend gegen den General, als wolle er ihm dadurch seinen Beifall zu erkennen geben; bei sich selbst aber dachte er: „Ich lasse mich aufknüpfen, wenn er nicht selbst raucht und lieber Stettiner und Josty als Franzwein trinkt; doch einem alten Soldaten kann man es verzeihen, wenn er roh und unhöflich ist.“ Er sah sich zugleich wieder nach Anna um; das Gespräch schien von beiden Seiten mit großem Interesse geführt zu werden, die Gegenwart des General verhinderte


  1. Marie Joseph Paul Roch Yves Gilbert Motier, Marquis de Lafayette (1757–1834), französischer General, beteiligte sich unter Washington am nordamerikanischen Freiheitskampf, wurde 1789 in Paris Anführer der Nationalgarde, mußte aber 1792 fliehen, da ihn die Nationalversammlung als Anhänger der konstitutionellen Monarchie in die Acht erklärte. An Napoleon schloß er sich nicht an. Während der Julirevolution war er wieder Anführer der Nationalgarde.
  2. Maximilien Sébastien Foy (1775–1825), französischer General unter Napoleon und Ludwig XVIII., Freund von Napoleons Nebenbuhler Moreau.
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 506–507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_256.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)