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lachend. „Da müßte Deutschland erst auferstehen, ehe die Deutschen aufstünden. Es war bei manchem ein schöner, aber unkluger Eifer, bei einigen Haß, bei vielen Übermut, bei den meisten war es Sache der Mode; und Sie vergessen, daß Östreich, Bayern, Württemberg, daß Schwaben und Franken nicht, was Sie sagen aufstanden, und denn doch auch zu Deutschland gehörten. Und Ihre Enthusiasten selbst! Vor diesen wären wir gewiß nie aus Sachsen gewichen!“

„Wenn es Ihnen auch an jenen gerühmten Eigenschaften eines alten, gedienten Soldaten gebrach, wahrhaftig, ihr Wille war schön, ihre Thaten groß, und ihre Einheit, ihre Aufopferung ersetzte vieles –“

„Einheit? Aufopferung? Wir nahmen, es war schon auf französischem Boden, einmal ein solches Individuum gefangen. Es war ein junger, schön geputzter Mann. Der Kaiser hatte von diesen Volontärs[WS 1] sprechen gehört, man hatte ihm ihre Kleidung, ihre Haltung überaus komisch beschrieben; er ließ daher den Gefangenen vortreten. Als dieser den Kaiser erblickte, geriet er in augenscheinliche Verwirrung, dachte nicht mehr daran, daß er selbst Soldat geworden sei und gegen den größten Krieger zu Feld ziehe, sondern er nahm seinen Tschako am Schild, riß ihn nach gewöhnlicher bürgerlicher Weise vom Kopf, daß der schöne Federbusch elendiglich in den Kot hing, und kratzte mit dem Fuß hinten aus. Der Kaiser ließ ihn durch mich fragen, ob er unter den deutschen Freiwilligen diene? Jener aber verbeugte sich noch einmal und sagte: ‚Ich bin vom Frankfurter Korps der Rache.‘ Der Kaiser konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, und als er weiter ritt, wandte er sich noch einmal um. Der Sohn der Rache stand noch immer ganz verblüfft unter einem Haufen von Franzosen, und jetzt erst schien er aus einem Traume zu erwachen, er mochte sich auf die schöne Zeile zurückwünschen. Der arme Teufel sah aus, als wäre er ein Volontaire malgré lui, als hätte er nur seinem Schatz zu Gefallen sich in dem Korps der Rache einschreiben lassen. Und dieser Rächer kehrte nicht mehr hinter den Ladentisch seines Vaters heim. Ich sah ihn sechs Tage nachher, ohne Beine, sterbend wieder, seine eigenen Landsleute hatten [501] ihn in unsern Reihen getötet. Und von solchen Menschen verlangen Sie Einheit – Aufopferung?“

Der Preuße hatte dem General unmutig zugehört, es kam ihm vor, als liege in den Zügen dieses Mannes Spott und Verachtung einer Sache, die er immer als etwas Ungeheures, Welthistorisches, Großartiges zu betrachten gewöhnt gewesen war. Der junge Willi sah diese unangenehmen Gefühle, die mit der Ehrfurcht vor dem General in Rantows Brust zu kämpfen schienen. Er nahm daher schnell das Wort und sagte: „Du warst damals auf feindlicher Partei, lieber Vater, du sahst alles in einem andern Lichte, und ich zweifle, ob nicht eure jungen Konskribierten[WS 2] sich auf ähnliche Weise benommen hätten. Aber wahr bleibt es immer und jedem unbefangenen Auge noch jetzt sichtbar, daß damals ein erhabener, ungewöhnlicher Geist unter dem Volke, hauptsächlich im Norden, wehte; die Mittelstände vorzüglich haben gezeigt, daß sie einer bewunderungswürdigen Kraftäußerung fähig seien, und darauf, so schlecht auch die Zeiten sind, kann man noch immer einige Hoffnung gründen.“

Rantow sah den jungen Mann bei den letzten Worten befremdet an, als wüßte er sich diesen Satz nicht zu erklären; doch erfreut, seine eigenen Gesinnungen wiederholt zu hören, wandte er sich wieder an den General. „Er hat recht“, sagte er, „auf feindlicher Seite konnten Sie das rührende Bild dieser Aufopferung nicht so genau kennen lernen. Aber die großen Worte unserer Redner, die feurigen, aufrufenden Lieder unserer Sänger, die begeisternde Aufopferung unserer Frauen, sie gaben, verbunden mit dem Mut, der frommen Kraft und der gottgeweihten Hingebung unserer Jünglinge und Männer, Szenen, die ebenso erhaben als unvergeßlich sind.“

„Und wofür denn dieses alles?“ fragte der alte Soldat. „Wozu so große Aufopferungen? Was hat man damit erreicht und errungen? Ließ sich dies alles nicht voraussehen?“

„Und was haben denn Sie, Herr General, auf jener Seite erreicht und errungen? Das ist einmal das Schicksal alles menschlichen Lebens und Treibens, daß man kämpft, sich hingibt, aufopfert, um am Ende nichts oder wenig zu erreichen. Zwanzig

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Freiwillige
  2. die zum Dienst einberufenen Wehrpflichtigen
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 500–501. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_253.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)