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ich wenigstens danke es Ségur, daß er auch jenem erhabenen Moment einen Denkstein setzte.“

„Also ist jene Szene wahr?“ fragte Rantow.

„Gewiß! Und eine schöne, großartige Idee liegt darin, daß man weiß, wer von der großen Armee zuletzt gegen die Russen schlug, daß es Ney war, welchen jener hohe Ruhm, der ihm sogar aus diesem Rückzug sproßte, die Handgriffe des gemeinen Soldaten nicht vergessen ließ. Er war, wie Hannibal, der letzte beim Rückzug.“

„Was sagen Sie aber über jenen, welcher der erste in der Armee und der erste beim Rückzug war?“ bemerkte Rantow. „Ich glaube, zwanzig Jahre früher hätte er jeden Schritt mit seinen Garden verteidigt –“

„Und zwanzig Jahre später vielleicht auch“, fiel ihm der General ins Wort, „und wäre vielleicht als Greis eines schönen Todes mit seinen Garden gestorben. Anno 13, werden Sie aber wohl wissen, war er Kaiser eines Landes, von welchem er, ohne Nachricht, ohne Hülfe, auf so viele hundert Meilen getrennt war. Was hielt ihn bei der Armee, nachdem unser Unglück entschieden war? Glauben Sie nicht, daß er etwas Ähnliches, wie den Abfall Ihres York[1], geahnt hat! Mußte er nicht in Frankreich frische Mannschaft holen?“

„Warum zog er gegen Asien zu Feld, der neue Alexander“, sagte Rantow spöttisch lächelnd, „wenn er ahnte, daß das Preußenvolk in seinem Rücken nur darauf laure, ihm den Todesstreich zu geben? War dies die gerühmte Klugheit des ersten Mannes des Jahrhunderts?“

„Glauben Sie, junger Mann“, erwiderte der General, „der Kaiser war erhaben über einen solchen Verdacht. Er wußte, daß Ihr König ein Mann von Ehre sei, der ihn im Rücken nicht überfallen werde; er wußte auch, daß Preußen zu klug sei, um à la Don Quichotte die große Armee allein anzugreifen.“

[497] „Preußen war ihm nichts schuldig“, rief der junge Mann errötend; „man weiß, wie Buonaparte selbst seine Friedensbündnisse gehalten hat; man war nicht schuldig, zu warten, bis es dem großen Mann gefällig sei, die Kriegserklärung anzunehmen. Der Gefesselte hat das Recht, in jedem günstigen Augenblicke seine Fesseln zu zerreißen, und sollte er auch den damit zertrümmern müssen, der sie ihm anlegte.“

„Nun, Vater“, setzte der junge Willi hinzu, „das ist es ja, was ich schon lange sagte, wenn ich den Aufstand des ganzen Deutschlands in Schutz nahm. Wer gab den Franzosen das Recht, uns in Ketten und Bande zu schlagen? Unsere Thorheit und ihre Macht! Wer gab uns das Recht, ihnen das Schwert zu entwinden und die Spitze gegen sie selbst zu wenden? Ihre Thorheit und unsere Macht.

„Ich gebe zu“, antwortete der General mit Ruhe, „daß man im Volk, vielleicht auch unter Politikern, also spricht und sprechen darf. Niemals aber darf der Soldat diese Sprache führen, um eine schlechte That zu beschönigen. Es gibt manche glänzende Verrätereien in der Geschichte; die Zeiten, wo sie begangen wurden, waren vielleicht mit der Gegenwart so sehr beschäftigt, daß man die Verräter gepriesen hat; aber die Nachwelt, welche die Gegenstände in hellerem Lichte sieht, hat immer gerecht gerichtet und manchen glänzenden Namen ins schwarze Register geschrieben. Auch die Sache des Kaisers wird die Nachwelt führen. So viel ist aber gewiß, daß zu allen Zeiten, wo es Soldaten gibt, einer, der seine Fahne verläßt, immer für einen Schurken gelten wird.“

„Ich gebe dies zu“, erwiderte Rantow, „nur sehe ich nicht ein, wie dies den übereilten Zug nach Rußland entschuldigen könnte.“

„Meinen Sie denn, der Zustand Preußens sei uns so unbekannt gewesen?“ fragte der General. „Man wußte so ziemlich, wie es dort aussah. Ich war von Mainz bis Smolensk im Gefolge des Kaisers und namentlich in deutschen Provinzen oft an seiner Seite, weil ich die Gegenden kannte, und manchmal in seinem Namen Fragen an die Einwohner thun mußte. In den preußischen


  1. Der preußische Feldmarschall Graf Hans David Ludwig York von Wartenburg (1759–1830) hatte am 30. Dezember 1812 mit dem russischen Feldherrn Diebitsch den Vertrag zu Tauroggen geschlossen und sich mit seinen Truppen ohne Befehl des Königs von Napoleons Herrschaft losgesagt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 496–497. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_251.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)