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Leipzig brachte, in die Residenz kam. Meine Mutter wurde damals bei Onkel Wernau erzogen, und mein Vater kam täglich in das Haus. Wenn dann dein Vater im Herbst zu Besuch kam, verhehlte er nicht, daß er nur gekommen sei, um die schönen Remontepferde zu betrachten, zog den ganzen Tag bei Bereitern und in den Ställen umher, freute sich, mit seiner großen Pferdekenntnis glänzen zu können, und unterhielt abends die glänzende Gesellschaft bei Wernaus durch sein sonderbares Wesen, das zwar nie linkisch oder unanständig, aber im höchsten Grad naiv, ungezwungen und komisch war. Mein Vater sagte oft: ‚Er war ein Bild der guten alten Zeit, nicht jener steifen Zeit, wo man den Hofton und die Reifröcke in jedem Winkel des Landes affektierte, sondern einer viel früheren. Er war das Muster eines schwäbischen Landjunkers.‘“

Der junge Mann hielt inne in seiner Beschreibung, als er sah, daß seine Zuhörerin lächelte. „Du findest vielleicht diese Züge unwahr“, sagte er, „weil sie auf heute nicht mehr passen, und doch versichere ich –“

„Mir fiel nur“, erwiderte sie, „als du dies das Bild eines schwäbischen Landjunkers nanntest, jenes Buch ein, das beinahe mit denselben Zügen einen Landjunker in – Pommern schildert. Du versetzest nun dieses Bild in mein Vaterland, in dieses Schloß sogar; sonderbar ist es übrigens, daß beinahe kein Zug mehr zutrifft. In dem gut gemalten Bild eines Jünglings muß man sogar die Züge des Greisen wiedererkennen, doch hier –“

„Das wollte ich ja eben sagen; ich fand den Onkel so ganz und durchaus anders, daß ich selbst nicht begreifen konnte, wie er einst jener muntere, naive Junge habe sein können.“

„Ich spreche ungern mit Männern über Männer, ich meine, es passe nicht für Mädchen“, nahm Anna das Wort; „über meinen Vater vollends habe ich nie – beinahe nie gesprochen“, setzte sie errötend hinzu, „doch mit dir will ich eine Ausnahme machen. Ich zwar kenne den Vater nicht anders, als wie er jetzt ist; es ist möglich, daß er vor dreißig Jahren etwas anders war; aber bedenke, Vetter Albert, durch welche Schule er ging! Alles, alles, was ihm einst lieb und wert war, hat diese furchtbare Zeit niedergewühlt. [485] Oder meinst du, jene Verhältnisse, so sonderbar und unnatürlich sie vielleicht erscheinen, seien ihm nicht teuer gewesen? Wie oft, wenn die alten Herren von der vormaligen Reichsritterschaft im Saal waren und sich besprachen über die gute alte Zeit, wie oft hätte ich da weinen mögen aus Mitleid mit den Greisen, die sich nun so schwer in diese neuen Gestaltungen finden!“

„Aber ging es ganz Europa besser? Denke an Spanien, Frankreich, Italien, Polen und das ganze Deutschland“, erwiderte der Gast.

„Ich weiß, was du sagen willst“, fuhr sie eifrig fort, „man soll über dem Unglück und der Umwühlung eines Weltteils so kleine Schmerzen vergessen; aber wahrlich, so weit sind wir Menschen noch nicht. Auf diesen Standpunkt erhebe sich, wer kann, und ich meine, er wird auch in seiner Großherzigkeit wenig Trost, weder für sich, noch für das Allgemeine finden. Und ich möchte überdies noch behaupten, daß unter allen, die überall gelitten haben, vielleicht gerade diese Ritterschaft nicht am wenigsten litt. Andere Wunden, die man nur dem Vermögen schlägt, heilen mit der Zeit, doch wo nicht durch Revolution, sondern im Namen gesetzlicher Gewalt so alte, lang gewöhnte Bande zersprengt und Formen, die auf ewig gegründet schienen, zertrümmert werden, das eine Stück hierhin, das andere dorthin gerissen – da werden die teuersten Interessen in innerster Seele verwundet. Wenn so die alten Hauptleute und Räte der Ritterschaft, einige Komturs und deutsche Ritter um die Tafel sitzen, so glaubt man oft Gespenster, Schatten aus einer andern Welt zu sehen. Doch wenn man dann bedenkt, daß dies alles, was sie einst erfreute, so lange vor ihnen zu Grabe ging, und diese Titel von der jungen Welt nicht mehr verstanden werden, so kann man mit ihnen recht traurig werden.“

„Es ist wahr“, bemerkte der Gast, „und man muß gerecht sein; sie wurden von früher Jugend in der Achtung und im ritterlichen Eifer für jene alten Formen erzogen, glänzten vielleicht eben im ersten Schimmer einer neuen Amtswürde, als das Unglück hereinbrach und alles auflöste; und wie schwer ist es, alten Gewohnheiten zu entsagen, alte Vorurteile abzulegen!“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 484–485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_245.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)