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waren es nur die Preußen, die entschieden haben; denken Sie nur an Waterloo.“

„Seid überzeugt, ich denke daran“, erwiderte der alte Herr mit großem Ernst, „und denke mit Vergnügen daran. Wenn einer ein Feind jenes Mannes ist, so bin ich es; denn er hat uns und alles unglücklich gemacht und das alte schöne Reich umgekehrt wie einen Handschuh. Aber das mit deinen Landsleuten weißt du denn doch nicht recht. Ich glaube schwerlich, daß eure jungen Soldaten, wenn sie auch wirklich so begeistert waren, wie man sagte, so viele Stöße auf ihr Zentrum ausgehalten hätten, als am achtzehnten Juni[WS 1] jene Engländer, die schon in allen Weltteilen gedient hatten.“

„Nicht die Jahre sind es“, sagte jener, „die in solchen Augenblicken Kraft geben, sondern das Selbstbewußtsein, der Stolz einer Nation und die Begeisterung des Soldaten für seine Sache; und die hat der Preuße vollauf.“

„Ich habe in meiner Jugend auch ein paar Jahre gedient“, entgegnete der Oheim, „Anno 85 bei den Kreistruppen. Damals waren die Soldaten noch nicht begeistert, darum kenne ich das Ding nicht. Nächstens wird mich aber mein Nachbar, der General, besuchen, mit diesem mußt du darüber sprechen.“

„Wie dem auch sei“, fuhr der Gast fort, „es freut mich innig, daß Sie über den Hauptpunkt, über den Unwillen gegen die Franzosen und im Haß gegen diesen Corsen, mit mir übereinstimmen. Bei uns zu Hause behauptet man, daß er in Süddeutschland leider noch immer als eine Art Heros angesehen und, es ist lächerlich zu sagen, von vielen sogar als ein Beglücker der Menschheit verehrt werde.“

„Sprich nicht zu laut, Freund!“ erwiderte der alte Herr, „wenn du es nicht mit dieser jungen Dame hier gänzlich verderben willst. Sie ist gewaltig Napoleonisch gesinnt.“

„Sie werden darum nicht schlechter von mir denken“, sagte Anna hocherrötend, „weil ich einen Mann nicht geradehin verdammen mag, dessen unverzeihlicher Fehler der ist, daß er ein großer Mensch war.“

„Großer Mensch!“ rief der Alte mit blitzenden Augen, „den [477] Teufel auch, großer Mensch! Was heißt das? Daß er den rechten Augenblick erspähte, um wie ein Dieb eine Krone zu stehlen? Daß er mit seinen Bajonetten ein treffliches Reich über den Haufen warf, seine herrliche, natürliche Form zertrümmerte, ohne etwas Besseres an die Stelle zu setzen, großer Mensch!“

„Sie sprechen so, weil –“

„Anna, Anna!“ fiel er seiner Tochter in die Rede, „meinst du, ich spreche nur darum so, weil er uns elend machte? Weil er dieses Thal und diesen Wald mir entriß, weil er diese Menschen, die mir und meinen Ahnen als ihren Herren dienten, an einen andern verschenkte? Weil die ungebetenen Gäste, die er uns schickte, das bißchen aufzehrten oder einsteckten, was mir noch geblieben war? Es ist wahr, an jenem Tage, wo man ein fremdes Siegel über das alte Wappen der Thierberge klebte, wo man mein Vieh zählte und schätzte, meine Weinberge nach dem Schuh ausmaß, meine Wälder lichtete und die erste Steuer von mir eintrieb, an jenem Tage sah ich nur mich und den Fall meines Hauses; aber ging es der ganzen Reichsritterschaft besser, mußten wir nicht sogar erleben, daß ein Mann von der Insel Corsica erklärte, es gebe keinen deutschen Kaiser und kein Deutschland mehr?“

„Gott sei es geklagt“, sagte der junge Rantow, „und uns wahrhaftig hat er es nicht besser gemacht.“

„Ihr, gerade ihr seid selbst schuld daran“, fuhr der alte Herr immer heftiger fort. „Ihr hattet euch längst losgesagt vom Reich, hattet kein Herz mehr für das Allgemeine, wolltet einen eigenen Namen haben und thatet euch viel darauf zu gut. Ihr sahet es vielleicht sogar gern, daß man uns Schaft für Schaft entzwei brach, weil man uns fürchtete, solange die übrigen Speere ein Band umschlang. Habt ihr nicht gesehen, wie weit es kam, als man in Sparta jeden Griechen einen Fremden nannte? Verdammt sei dieses Jahrhundert der Selbstsucht und Zwietracht, verdammt diese Welt von Thoren, welche Eigenliebe und Herrschsucht Größe nennt!“

„Aber lieber Vater –“ wollte das Fräulein besänftigend einfallen, doch der alte Herr war zu seinen letzten Worten schnell

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Schlacht bei Waterloo fand am 18. Juni 1815 statt (Wikipedia).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 476–477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_241.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)