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werden ein gutes, herzliches Völkchen finden, gebildet genug, um, wenn man nur die rechte Saite anschlägt, sich mit den Gebildetsten zu messen, vernünftig genug, um die Grenzen guter Sitten festzuhalten und das Lächerliche der Unsitte zu belächeln.“

Der Fremde aus der Mark lächelte. „Er liebt sein Land“, dachte er, „und er verteidigt es mit Wärme, weil er es nicht sinken lassen will oder Besseres nie gesehen hat.“ Er entschuldigte bei sich die warme Verteidigung des Schwaben, aber dennoch konnte er es sich nicht versagen, einen kleinen Triumph über jenen zu feiern. Er machte ihn mit der Geläufigkeit der Zunge und jener Übung, über ein Nichts schnell und vieles zu sprechen – die man im Norden unseres Vaterlandes häufiger als im Süden treffen soll – auf andere große Vorzüge aufmerksam, welche die nördlichen Provinzen Deutschlands vor den südlichen voraushaben. Er zählte immer zwanzig Schriftsteller und Dichter seiner Heimat gegen einen im Süden, und der Schwabe konnte endlich dem Schwall seiner Beredsamkeit nur dadurch Einhalt thun, daß er, als sie um eine Ecke der Landstraße bogen, auf die erhabenen Ruinen von Heidelberg hinwies; der Fremde betrachtete sie staunend und mit Entzücken. Ihre rötlichen Steinmassen waren von der sinkenden Herbstsonne noch höher gerötet, und der Abend ließ die Bäume und Gesträuche, die in den verfallenen Mauern wachsen, im dunkelsten, wundervollsten Grün erscheinen. Durch die hohen, offenen Fensterbogen blickte der schwärzliche Wald hervor, den Gipfel des Berges umzog jener duftige Schleier, welcher allen Gegenständen so eigenen geheimnisvollen Reiz verleiht, und von oben herab spiegelten sich die rötlichen Abendwölkchen und der dunkelblaue Himmel in den Fluten des Neckars.

„Und haben Sie solche Poesie in der Mark?“ fragte der Jäger mit gutmütigem Lächeln.

Der Fremde schien es nicht zu hören, unverwandt hingen seine Blicke an diesem reizenden Schauspiel, er mochte fühlen, daß es sich an solchen Stellen über Poesie nicht gut streiten lasse.

Nach diesem Vorfall kehrte übrigens auf dem Gesicht des Jägers die vorige Ruhe und Unbefangenheit zurück, er stritt über [461] keinen Gegenstand, schien sogar über manche Dinge sich behutsam auszudrücken.

Als aber das Gespräch unter den beiden Reisenden, da die hereinbrechende Nacht ihre Aufmerksamkeit auf die Gegend hemmte, auf einige neuere Ereignisse und auf Politik kam, schien es dem jungen Mann aus der Mark, obgleich er die Züge seines Nachbars nicht mehr gut unterscheiden konnte, sein Atem gehe schneller, seine Rede werde wärmer, kurz, man habe einen Punkt der Unterredung getroffen, welcher für den Schwaben von hohem Interesse sei. Man sprach von der Gestalt und der inneren Kraft Deutschlands. Mit einer gewissen Erbitterung zog jener eine Parallele zwischen jetzt und sonst, die nicht gerade zum Vorteil der neueren Zeit ausfiel. Der Fremde, dessen Grundsätze im ganzen nicht mit diesen Ansichten übereinstimmen mochten, gab ihm dennoch, nicht ohne einiges Selbstgefühl, die letzten Sätze zu. Unglücklicherweise fing er seinen Satz: „Ich bin ein Preuße“ an, und reizte dadurch unwillkürlich den Unmut des jungen Mannes noch mehr auf. Denn dieser vergaß nun jede Rücksicht der Klugheit; mit einer Beredsamkeit, die an jedem andern Orte dienlich gewesen wäre, suchte er seine Meinung durchzuführen, und nichts war ihm zu hoch, das er nicht mit seinem eigenen Maßstab gemessen hätte. Der Preuße, der solche Leute nur vom Hörensagen und unter dem gefährlichen Namen „Köpenicker“ kannte, erschrak über diese Äußerungen. Konnte nicht der Postillon, konnte nicht ein Passagier im Bauch des Wagens diese Reden vernommen haben? Spandau, Köpenick, Jülich und alle möglichen festen Plätze schwebten vor seiner aufgeregten Phantasie, und das beste Mittel, seinen Nachbar zum Stillschweigen zu bringen, schien ihm, wenn er sich in die Ecke drückte und sich schlafend stellte.


2.

Als die beiden Reisenden am Morgen nach dieser gefährlichen Nacht erwachten, sahen sie in geringer Entfernung die Türme von Heilbronn aus dem Nebel tauchen. „Hier endet meine Fahrt“, sagte der Herr im grünen Rock, indem er auf die Stadt deutete,

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 460–461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_233.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)