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Der alte Lanbek that das letztere auch ohne dies Edikt, denn so oft der Name Karl Alexanders genannt wurde, lüftete er mit besorgter Miene sein Mützchen und sagte: „Gott habe ihn selig!“ Er folgte auch dem hochseligen Herrn noch unter der Vormundschaft Rudolfs von Neustadt. Man sagt, sein Sohn habe nie wieder gelächelt, und selbst Schwager Reelzingen konnte ihm mit den herrlichsten Späßen keine heitere Miene abgewinnen. Noch Anno 1793 sah man ihn als einen hohen, magern Greis an einem Stock über die Straße schreiten; seine Miene war ernst und düster, aber sein Auge konnte zuweilen weich und teilnehmend sein. Er hat nie geheiratet, und die Sage ging damals, daß er nur einmal und ein unglückliches Mädchen geliebt habe, das ihren Tod im Neckar freiwillig fand. Männer, die ihn gekannt haben, versichern, daß er, gewöhnlich kalt und verschlossen, dennoch sehr interessant in der Unterhaltung gewesen sei, wenn man ihn auf gewisse metaphysische Untersuchungen brachte, mit welchen er sich in seinem hohen Alter hauptsächlich beschäftigte. Er starb, betrauert von vielen, die ihn und sein Schicksal kannten, und beweint von den Armen und Unglücklichen. Mein Großvater pflegte von ihm zu sagen: „Es war einer von jenen Menschen, die, wenn sie einmal recht unglücklich gewesen sind, sich nicht mehr an das Glück gewöhnen mögen.“



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Das Bild des Kaisers.




 „Ne crains pas cependant, ombre encore inquiête
 Que je vienne outrager ta majésté muette!
 Non – la lyre aux tombeaux n’a jamais insulté.“

 A. de Lamartine.[1]

1.

In dem Kabriolett des Eilwagens, der zweimal in der Woche von Frankfurt nach Stuttgart geht, reisten vor einigen Jahren an einem der schönsten Tage des Septembers zwei junge Männer. Der eine von ihnen war erst eine Station hinter Darmstadt eingestiegen und hatte dem früheren Passagier schon beim ersten Anblick durch sein schmuckes Äußere und den freundlichen Gruß, womit er sich neben ihn setzte, die Furcht, der Zufall möchte ihm eine unangenehme Nachbarschaft geben, völlig benommen. Der Fortgang der Reise bewies, daß er nicht unrichtig geurteilt hatte, wenn er seinen Reisegefährten für einen wohlgezogenen, anständigen Mann hielt. Was er sprach, war, wenn nicht gerade heiter, doch offen und verständig; nicht selten sogar überraschten den Reisenden leicht hingeworfene Äußerungen, Gedanken seines Nachbars, die von feiner Bildung, gesellschaftlicher Erfahrung und einer Belesenheit zeugten, die er denn doch hinter dem etwas groben Jagdrock und der unscheinbaren Ledermütze nicht gesucht hätte. Überhaupt deuchte es diesem Reisenden, er müsse, je weiter er im Süden vordrang, desto öfter und nicht ohne Beschämung


  1. Anfang der fünften Strophe aus Lamartines Meditation „Bonaparte“.Marie Louis Alphonse de Lamartine (1790–1869), franz. Minister, Dichter und Historiker, machte sich besonders durch seine „Méditations poétiques“, seine „Harmonies poétiques et religieuses“ und durch seine „Histoires des Girondins“ bekannt.
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 454–455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_230.png&oldid=- (Version vom 30.1.2023)