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„Guter Gustav“, unterbrach sie ihn, indem sie sich zu einem Lächeln zwang; „lassen wir das; die Leute sagen, daß er sein Vermögen den Armen dieses Landes entzogen habe. Da hatte er unrecht, und es wäre besser, er hätte dieses Land nie gesehen; aber ebenso unrecht wäre es von mir, von diesem Golde Gebrauch zu machen, das ihm den Tod bringen wird. Aber von dir, liebes, schönes Mädchen, nehme ich ein Tuch an, weil es jetzt so kalt wird. Ich höre, du bist Braut; sei doch recht glücklich! Möchten dies die letzten Thränen sein, die jetzt in deinen Wimpern hängen, und wenn du weinen mußt, so sei es nur fremdes Unglück, um das dein schönes Herz trauert.“

„Lea“, sagte der junge Mann mit tiefem Schmerz, „ich kann dich nicht so hinweglassen; es ist die trügerische Ruhe der Verzweiflung, die aus dir spricht. Besuche doch meine Schwester; sage, wo du wohnst. – Ach, wenn du Mangel littest! – Scheide nicht im Groll von mir, Lea! Gott weiß, daß ich nicht anders konnte!“

„Und auch ich weiß es, Gustav, und war ein thörichtes Mädchen, dich auf die gefährliche Probe zu stellen; unser Unglück ist so groß, daß eine kleine Hülfe mit deiner Ehre, mit deiner Ruhe zu teuer erkauft wäre. Lebet wohl! Ich brauche wenig, vielleicht bald gar nichts mehr, und sollte ich etwas nötig haben, so bin ich nicht zu stolz, zu dieser Freundin zu kommen, der einzigen, die mir das Unglück erworben hat.“

„Und vergibst du?“ sagte Gustav mit Thränen.

„Ich habe nichts zu vergeben“, erwiderte sie, indem sie ihm mit mehr Fassung, als die beiden Geschwister erhalten hatten, die Hand bot. „Lebe wohl, Freund! Ich gehe, meine Blumen zu begießen. Möge der Gott meiner Väter dich so glücklich machen, als es dein reiches Herz verdient!“ Sie sagte es, warf noch einen Blick voll Liebe auf ihn und ging, von Käthchen begleitet.

Der junge Mann blickte ihr wehmütig nach; es war ihm, als hätte diese Stunde einen mächtigen Einfluß auf sein Leben, aber er ahnete auch, daß er das unglückliche Mädchen zum letztenmal gesehen habe.

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15.

Es würde unsere Leser ermüden, wollten wir sie von dem Prozeß des Juden Süß noch länger unterhalten. Es ging damals wie ein Lauffeuer durch alle Länder und wird da und dort noch heute erwähnt, daß am 4. Februar 1738 die Württemberger ihren Finanzminister wegen allzu gewagter Finanzoperationen aufgehenkt haben. Sie hingen ihn an einen ungeheuren Galgen von Eisen in einem eisernen Käficht auf. Im Dekret des Herzogs Administrator heißt es: „Ihme zu wohlverdienter Straff, jedermänniglich aber zum abscheulichen Exempel.“ Beides, die Art, wie dieser unglückliche Mann mit Württemberg verfahren konnte, und seine Strafe, sind gleich auffallend und unbegreiflich zu einer Zeit, wo man schon längst die Anfänge der Zivilisation und Aufklärung hinter sich gelassen, wo die Blüte der französischen Litteratur mit unwiderstehlicher Gewalt den gebildeteren Teil Europas aufwärts riß.

Man wäre versucht, das damalige Württemberg der schmählichsten Barbarei anzuklagen, wenn nicht ein Umstand einträte, den Männer, die zu jener Zeit gelebt haben, oft wiederholen, und der, wenn er auch nicht die That entschuldigt, doch ihre Notwendigkeit darzuthun scheint. „Er mußte“, sagen sie, „nicht sowohl für seine eigenen schweren Verbrechen als für die Schandthaten und Pläne mächtiger Männer am Galgen sterben.“ Verwandtschaften, Ansehen, heimliche Versprechungen retteten die andern, den Juden – konnte und mochte niemand retten, und so schrieb man, wie sich der alte Landschaftskonsulent Lanbek ausdrückte, „was die übrigen verzehrt hatten, auf seine Zeche“. Es sind seitdem neunzig Jahre verflossen, und wir wissen nicht, ob damals der schmähliche Tod dieses Mannes die Gemüter über alles Frühere beruhigte und befriedigte. Ein Edikt des Administrators wenigstens scheint es nicht ganz zu beweisen, denn er sah sich genötigt, zu verordnen: „daß die Unterthanen alle widrigen Nachreden und ungleichen Urteile über den hochseligen Herrn bei Strafe und Ahndung vermeiden und denselben im schuldigst-respektueusesten Andenken halten sollten“.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 452–453. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_229.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)