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Trost geraubt, zu wissen, ob es Ihnen an nichts gebricht, ob die Freunde etwas für Sie thun können?“

„Ach! das ist es nicht, um was ich Ihre edelmütige Schwester gebeten habe, mich hieher zu führen“, sagte sie schmerzlich lächelnd. „Warum soll es mir denn nicht gut gehen? Ich habe alle meine Hoffnungen und Träume längst begraben, ich pflanzte die Erinnerungen als Blumen auf das Grab und begieße diese Blumen mit meinen Thränen. Nein! Sie waren immer so großmütig gegen Unglückliche, geben Sie mir nur den Trost, daß mein Bruder nicht sterben muß; ach! es ist so bitter, zu sterben, und was nützt sein Tod diesem Lande?“

„Lea“, antwortete der junge Mann verlegen, „gewiß, es ist bis jetzt noch nicht davon die Rede gewesen, und ich glaube auch nicht – Sie dürfen sich trösten – es wird nicht so weit kommen.“

„Es wird, und in Ihrer Hand liegt sein Schicksal“, flüsterte sie; „er hat es mir gesagt, ich habe ihn gesprochen; ‚wenn nur der Brief nicht wäre, der Brief kann mich verderben’. O Gustav! halten Sie ihn jahrelang, auf immer im Gefängnis, was liegt an ihm, wenn er in Ketten sitzt? Nur nicht sterben; Gustav, sei’n Sie edelmütig – vergessen Sie den Brief, um den niemand weiß als Sie – mit jener schwachen Kerze dort können Sie das Leben eines Menschen retten.“

„Bruder“, sagte Katharina näher tretend, indem sie seine Hand faßte, „thu’ es, dein Gewissen kann nicht gefährdet werden, denn er ist ja auf immer unschädlich gemacht; verbrenne den Brief, er kann sich ja verloren haben.“

Der junge Mann sah die weinenden Mädchen an; ein unabweisbares Gefühl kämpfte in ihm, er schwankte einen Augenblick, und Lea, die diesen Kampf in seinen Mienen las, faßte seine Hand, drückte sie stürmisch an ihr Herz, zog sie zärtlich an ihre Lippen. „Er will!“ rief sie entzückt; „o, ich wußte es wohl, er ist edel; er will sich nicht wie die andern an dem Unglücklichen rächen, der ihn einst beleidigt hat, er läßt ihn nicht sterben, belastet mit Sünden, er läßt ihn leben und fromm und weise werden. Wie gütig bist du, o Gott, daß du noch deiner Engel einen gesendet [451] hast auf diese öde Erde, der mit der offenen Hand der Barmherzigkeit segnet und nicht mit dem flammenden Schwert der Rache den Verbrecher zerschmettert!“

„Nein – nein – es ist nicht möglich!“ sprach Lanbek mit tiefem Schmerz. „Sieh’, Lea, mein Leben möchte ich hingeben, um deine Ruhe zu erkaufen, aber meine Ehre! Gott! meinen guten Namen! Es ist nicht möglich! Sie wissen um den Brief, einige haben ihn gelesen, und – morgen soll ich ihn vortragen. Käthchen, sprich, ich beschwöre dich, kann, darf ich es thun?“

Käthchen weinte, und eine leise Bewegung ihres Hauptes schien anzudeuten, daß es auch ihr unmöglich scheine. Lea aber hatte ihm mit starren Blicken zugehört; über die bleichen Wangen ergoß sich die Röte der Angst, sie beugte sich vor, als könne sie die schreckliche Verneinung nicht recht vernehmen; sie sah, als sich Gustav auf seine Schwester berief, mit einem Blick voll schmerzlicher Zuversicht nah dieser hin, sie streckte die Hand krampfhaft aus, wie ein Ertrinkender, der nach dem schwachen Zweig am Ufer die Hand ausstreckt – vergebens.

„So muß er sterben“, sagte sie nach einer Weile leise, „und du – du brichst ihm den Stab? Das war es also, warum ich lebte und – liebte? Es ist ein sonderbares Rätsel, das Leben! Hätte ich dies gedacht, als ich noch ein fröhliches Kind war? Hätte ich gedacht, daß wir so untergehen müßten?“

„Armes, unglückliches Mädchen!“ sprach Käthchen und schloß sie in ihre Arme. „Ach, gewiß, er kann nicht anders handeln, ich sehe es selbst ein; und wenn es dich trösten kann, komm’ zu mir, so oft du willst, du sollst gewiß treue Teilnahme finden –“

„Lea“, unterbrach sie ihr Bruder, „wenn wir etwas für Sie thun können; Sie sind an Wohlstand gewöhnt – dieses Kleid hier sagt mir, daß Sie in Not sind.“

„Komm’, Lea“, fuhr Käthchen fort, „wir sind beinahe von derselben Größe, nimm von meinen Tüchern, von meinen Kleidern, du machst mir Freude, wenn du es thun willst.“

„Das Vermögen Ihres Bruders, das er außer Landes besitzt“, sagte Gustav, „soll und muß für Sie gerettet werden, Sie haben die nächsten Ansprüche, und ich will gewiß das meinige thun.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 450–451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_228.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)