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zurück, und“, sie setzte durch Thränen lächelnd hinzu, „machet mir keine tollen Streiche, die Euch verraten könnten.“

„Die Pferde sind vor dem Seethor“, sprach der Alte zu Reelzingen und seinem Sohn; „ihr dürft nicht das Thor selbst passieren, denn die erste Runde ist schon vorüber. Begleiten Sie meinen Sohn, Herr von Blankenberg, durch die Gärten, und bringen Sie mir Nachricht, wie sie fortgekommen sind.“

Der junge Lanbek umarmte Vater und Geschwister, die Schwestern folgten ihm und seinen Freunden weinend bis unter die Gartenthüre, und als nachher Hedwig ihre jüngere Schwester bitter tadelte, weil sie erlaubt habe, daß der Kapitän sie auf den Mund küsse, antwortete jene: „Du hast gefehlt, nicht ich, daß du es unterlassen hast; solche Höflichkeit waren wir einem Manne schuldig, der für unsern Bruder so viel thut.“

„Ei“, erwiderte Hedwig errötend, „Blankenberg hat ihn eigentlich doch auch gerettet.“


13.

Die beiden jungen Männer ritten schweigend durch die finstere Nacht hin. Kein Stern war am Himmel, und der Wind heulte um die Berge. „Hu! Siehst du dort?“ flüsterte Reelzingen, als sie an dem eisernen Galgen vorbeiritten, den einst (1597) Herzog Friedrich[1] dem Alchimisten Honauer[2] aus dem Metall errichten ließ, das er in Gold zu verwandeln versprochen hatte. „Schau’, diese ungeheure Menge Raben, es ist, als witterten sie eine neue Beute.“

Sein Freund blickte schweigend hinauf, schlug aber plötzlich wieder die Augen nieder, denn ihm war, als sehe er Leas feine, liebliche Gestalt klagend unter dem Galgen sitzen. „Fest genug ist diese Schandsäule aus Eisen“, fuhr der Kapitän fort, „um alle Schurken im Lande zu tragen; aber wollte man das Gold [441] mit aufhängen, das sie eingesackt haben, würde selbst dieser Galgen wie ein morscher Stab zusammenbrechen! Wie diese Raben schaurige Melodien singen! Doch wie? – Dieu nous garde, Camarade! Gib deinem Roß die Sporen, wahrhaftig, dort sitzt ein Gespenst am Galgen!“

Es war, als ob die Pferde selbst diesen Ort des Schreckens fürchteten, denn auf diesen Ruf jagten sie mit Sturmeseile den Berg hinan und waren nicht mehr ruhig, bis man das Gekreisch der Raben nicht mehr hörte.

Es liegt eine kleine Brücke zwischen Stuttgart und Ludwigsburg, von welcher das Volk viel Schauerliches zu erzählen weiß; so viel ist gewiß, daß schon Unerklärliches dort vorgefallen ist, und daß mancher Mann sein Gebet spricht, wenn er nachts allein über diese Stelle reitet. Die Sage sagt, daß der Sohn des Konsulenten und sein Freund, der muntere Kapitän, glücklich und in kurzer Zeit bis an jene Brücke gekommen seien; dort aber seien ihre Pferde nicht mehr von der Stelle gegangen und haben geschnaubt und gezittert. Die jungen Leute spornten und gebrauchten ihre Peitschen, als eine alte, zitternde Stimme rief: „Gebt einem alten Mann doch ein Almosen!“

„Wer wird bei Nacht und Nebel den Beutel ziehen? Zurück, Alter, von der Brücke weg, unsere Pferde scheuen vor Euch, zurück, sag’ ich, oder Ihr sollt meine Peitsche fühlen!“

„Nicht so rasch, junges Blut! Nicht so rasch!“ sagte der Alte, dessen dunkle Gestalt sie jetzt auf dem Brückengeländer sitzen sahen. „Eile mit Weile! Kommet noch früh genug, gebt einem alten Mann ein Almosen!“

„Jetzt ist meine Geduld zu Ende“, rief der Kapitän und schwang seine Peitsche in der Luft. „Ich zähle drei, wenn du nicht weg bist, hau’ ich zu.“

Der Alte hüstelte und kicherte; Gustav kam es vor, als wachse seine dunkle Gestalt ins Unendliche und – ein langer Arm streckte einen großen Hut heran, und zum drittenmal, aber drohend und mit furchtbarer Stimme, krächzte der Mann von der Brücke: „Einem alten Mann gib ein Almosen! Es wird dir Glück bringen, und reite nicht so schnell, vor zwölf Uhr darfst du nicht dort sein.“


  1. Herzog Friedrich (1557–1608, seit 1593 Herzog) suchte die Macht der Landstände zu brechen und machte Württemberg wieder zu einem Reichslehen. Er liebte die Künste und beschäftigte sich auch mit Goldmacherei.
  2. Der Alchimist Georg Honauer wurde am 2. April 1597 in einem „Kleide von Goldschaum“ an einen für ihn eigens errichteten eisernen Galgen gehenkt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 440–441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_223.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)