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war? Wie beruhigt über den Gang der Dinge sind die Enkel derer, die in jenem verhängnisvollen März jede Stunde für das Schicksal ihrer Familien, für die alten Rechte ihres Landes, selbst für ihren Glauben zittern mußten.

Wer den übermütigen Süß in seiner Karosse, mit sechs Pferden bespannt, durch die „reiche Vorstadt“ fahren sah, wie er stolz lächelnd auf die bleichen, feindlichen Gesichter herabblickte, die ihm überall begegneten; wer den schrecklichen Hallwachs, seinen innigen Freund und Ratgeber, neben ihm sah und bedachte, wie viele verderbliche Pläne dieser Mann ersonnen, wie viele unerhörte Monopole er eingeführt habe, und wie er immer neue zu erfinden trachte; wer das unbegrenzte Vertrauen kannte, das der Herzog in diese Menschen setzte, der mußte wohl an der Möglichkeit der Rettung verzweifeln.

Dazu kamen noch die sonderbaren und widersprechenden Gerüchte, die im Umlauf waren. Die einen sagten, der Herzog sei nach Philippsburg und Kehl gereist, habe aber das Regiment nicht an den Geheimrat, sondern das Siegel dem Juden Süß gegeben; andere widersprachen und behaupteten, man habe den Herzog an einem Fenster des Ludwigsburger Schlosses gesehen, auch seien seine Pferde noch dort, und er sei nicht abgereist. In einem Dorf an der österreichischen Grenze im Oberland sollen die Katholiken plötzlich über die protestantischen Einwohner hergefallen sein, und als letztere den Kampfplatz behaupteten, sei eine Kompanie Kreistruppen über die Grenze herein ins Dorf gerückt. Am sonderbarsten klang das Gerücht, das sich überdies noch bestätigte, der Oberfinanzrat Hallwachs habe ein kostbares Meßgewand beim Hofsticker bestellt und ihm befohlen, es bis zum 18. März fertig zu machen, und wenn er mit fünfzig Gesellen arbeiten müßte; bring’ er es nicht fertig, so werde er eingesetzt. Ein lutherischer Geistlicher, den man mit Namen nannte, soll den Kindern in der Schule Kreuzchen, aus Holz geschnitzt, geschenkt haben, mit den Worten: „Nur wenn ihr diese in Händen haltet, könnet ihr recht beten.“ Endlich erzählte man sich als etwas Verbürgtes, der Jude habe zum Herzog über der Tafel gesagt: „Ihre Stände, Durchlaucht, sind eigentliche Widerstände; aber [437] sie stehen schon so lange, daß sie müde und matt sind.“ Karl Alexander habe ihm lächelnd zur Antwort gegeben: „C’est vrai; allons donc leur donner des chaises, et une fois assis, ils ne se leveront plus.“ Auch jene Männer, die entschlossen waren, dem drohenden Verderben zuvorzukommen, hörten diese Gerüchte. Aber sie waren dabei kalt und ruhig; wußten sie ja doch, Württemberg stehe eine solche Veränderung bevor, daß es entweder erleichtert oder so tief ins Unglück gestürzt werden würde, daß der Jammer des einzelnen davor verstummen müßte. Man erzählt sich, sie haben alles, was dazu gehört, einem mächtigen und bösartigen Feind mit Hülfe des Landvolks zu begegnen, vorbereitet gehabt, und wenn ihr Unternehmen gelingen sollte, so verdankten sie es nur den wenigen hellstrahlenden Namen einiger Männer aus der Landschaft; denn an diese war man in Württemberg gewöhnt, das Interesse des Landes zu ketten.

Es war spät abends den 11. März, als der Landschaftskonsulent Lanbek mit seinem Sohne und dem Kapitän Reelzingen in seiner Wohnstube beim Wein saß. Die beiden Lanbek waren ernst und düster, der Kapitän aber konnte auch jetzt seinen fröhlichen Lebensmut nicht verbergen, denn er teilte seine Aufmerksamkeit und sein Gespräch zwischen der Fensternische, wo die beiden Schwestern Gustavs saßen, und zwischen den beiden Männern an seiner Seite. Hedwig sah bleich und still vor sich hin auf ihre Nadeln, aber auf Käthchens Gesichtchen lag eine höhere Röte als gewöhnlich, und alle Augenblicke zeigte sie die weißen Zähne und die schönen Grübchen in ihren Wangen, denn der Kapitän wußte wieder wunderschöne „Späße und Geschichten“.

„Wie ist Euer Pferd, Kapitän?“ fragte der alte Lanbek.

„Mein Fuchs ist ein besserer Infanterist als ich selbst“, erwiderte er; „wenn ich die sechs ersten Stunden Trab und bergauf Schritt reite, so kann ich die nächsten sechs bequem Galopp reiten. Er hat nur einen Fehler, den, daß er noch nicht bezahlt ist, und macht mir durch diese Untugend oft großen Jammer.“

„Ihr könnt“, fuhr der Alte fort, „wenn Ihr von der Galgensteige an scharf Trab reitet, zwischen eilf und zwölf Ludwigsburg passieren; um vier Uhr müßt Ihr in Heilbronn sein, und dort

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 436–437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_221.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)