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Töchter stürzten sich auf ihn, und zum erstenmal wagte es Hedwig, ihre Lippen auf die geheiligten Lippen des Vaters zu legen, indem sie ihm den zum Fluch geöffneten Mund mit Küssen verschloß. Die jüngere hatte sich unwillkürlich vor Gustav gestellt, seine Hand ergriffen, als wolle sie ihn verteidigen, der junge Mann aber riß sich kräftig los; nie so als in diesem Augenblick glich sein Gesicht, sein drohendes Auge den Zügen seines Vaters, und die beengte Brust weit vorwerfend, sprach er: „Ich habe alles ertragen, was möglicherweise ein Sohn von seinem Vater ertragen darf, ich habe aber noch andere Pflichten, meine eigene Ehre muß ich wahren, und wäre es mein eigener Vater, der sie antastet. Es hätte Ihnen genügen können, wenn ich bei allem, was mir heilig ist, versichere, daß ich nicht das bin, wofür Sie mich halten. Wenn Sie keinen Glauben mehr an mich haben, wenn Sie mich aufgeben, dann bleibt nichts mehr übrig. Lebet wohl – ich will euch nur noch eine Schande machen.“

„Du bleibst!“ rief ihm der Alte, mehr ängstlich und bebend als befehlend nach. „Meinst du, dies sei der Weg, einen gekränkten Vater zu versöhnen? Hast du so sehr Eile, mir voranzugehen und einen Weg einzuschlagen, wo ich dich nie mehr träfe? Denn ich habe redlich und nach meinem Gewissen gelebt, dich aber und deine Absicht verstand ich wohl.“

„Aber Vater“, sprach seine jüngste Tochter mit sanfter Stimme, „wir hatten ja alle Gustav immer so lieb, und Sie selbst sagten so oft, wie tüchtig er sei; was kann er denn so Schreckliches verbrochen haben, daß Sie so hart mit ihm verfahren?“

„Das verstehst du nicht, oder ja, du kannst es verstehen: des Juden Schwester liebt er, und mit ihr und seinem Herrn Schwager Süß hat er sich am Gartenzaun unterhalten. Jetzt sprich! Kannst du dich entschuldigen? O ich Thor, der ich mir einbildete, man habe ihn, um mir eine Falle zu legen, erhoben und angestellt! Seine jüdische Scharmante hat ihn zum Expeditionsrat gemacht!“

„Der Vater will nicht verstehen“, sprach der junge Mann, mit Thränen in den Augen, „darum will ich zu euch sprechen. Euch, lieben Schwestern, will ich redlich erzählen, wie [429] die Umstände sich verhalten, und ich glaube nicht, daß ihr mich verdammen werdet.“ Die Mädchen setzten sich traurig nieder, der Alte stützte seine gefurchte Stirne auf die Hand und horchte aufmerksam zu. Gustav erzählte, anfangs errötend und dann oft von Wehmut unterbrochen, wie er Lea kennen gelernt habe, wie gut und kindlich sie gewesen sei, wie gerne sie mit ihm gesprochen habe, weil sie sonst niemand hatte, mit dem sie sprechen konnte. Er wiederholte dann das Gespäch mit dem jüdischen Minister und dessen arglistige Anträge; er versicherte, daß er nie dem Gedanken an eine Verbindung mit Lea Raum gegeben habe, und daß er diesen Abend dem Minister es selbst gesagt haben würde, wäre nicht der Vater so plötzlich dazwischengekommen.

„Du hast sehr gefehlt, Gustav“, sagte Hedwig, seine ältere Schwester, ein ruhiges und vernünftiges Mädchen. „Da du nie, auch nur entfernt an eine Verbindung mit diesem Mädchen denken konntest, so war es deine Pflicht als redlicher Mann, dich gar nicht mir ihr einzulassen. Auch darin hast du sehr gefehlt, daß du nicht gleich damals schon deinem Vater alles anvertraut hast; aber so hast du jetzt deine ganze Familie unglücklich und zum Gespött der Leute gemacht, denn meinst du, der Süß werde nicht halten, was er gedroht? Ach! er wird sich an Papa, an dir, an uns allen rächen.“

„Geh’, bitte den Vater um Verzeihung!“ sprach das schöne Käthchen weinend. „Du mußt ihm nicht noch Vorwürfe machen, Hedwig, er ist unglücklich genug. Komm’, Gustav“, fuhr sie fort, indem sie seine Hand ergriff und ihn zu dem Vater führte, „bitte, daß er dir vergibt; ja, wir werden recht unglücklich werden, der böse Mann wird uns verderben, wie er das Land verdorben hat, aber dann lasset doch wenigstens Frieden unter uns sein. Wenn wir uns nur noch haben, so haben wir viel, wenn er uns alles übrige nimmt.“

Der Alte blickte seinen Sohn lange, doch nicht unwillig an. „Du hast gehandelt wie ein eitler junger Mensch, und die Aufmerksamkeit, die dir diese Jüdin schenkte, hat dich verblendet. Du hast, ich fühle es für dich, vielleicht schon seit geraumer Zeit, gewiß aber diesen Abend dafür gebüßt. Katharine hat recht;

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 428–429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_217.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)