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„Lea“, erwiderte er, indem er die schöne Hand an seine Lippen zog, „verkenne mich nicht, Mädchen! Ich konnte wahrhaftig nicht kommen, Kind! Zu dir durfte ich nicht kommen, und in die Zirkel deines Bruders gehe ich nicht; und wenn ich wüßte, daß du ein einziges Mal da warst, würde ich dich nicht mehr sprechen.“ Trotz der Dunkelheit glaubte der junge Mann dennoch eine hohe Röte auf Leas Wangen aufsteigen zu sehen. Er sah sie zweifelhaft an; sie schlug die Augen nieder und antwortete: „Du hast recht, ich darf nicht in die Zirkel meines Bruders gehen.“

„So bist du da gewesen? Ja, du bist dort gewesen!“ rief Lanbek unmutig; „gestehe nur, ich kann jetzt doch schon alles in deinen Augen lesen.“

„Höre mich an“, erwiderte sie, indem sie bewegt seine Hand drückte, „die Amme hat dir gesagt, was nach dem Karneval vorging und wie ich bat und flehte, dich frei zu lassen. Seit jener Zeit hat sich sein Betragen ganz geändert; er ist freundlicher, behandelt mich, wie wenn ich auf einmal um fünf Jahre älter geworden wäre, und läßt mich zuweilen sogar mit sich ausfahren. Vor einigen Tagen befahl er mir, mich so schön als möglich anzukleiden, legte mir ein schönes Halsband in die Hand, und abends führte er mich die Treppe herab in seine eigenen Zimmer. Da waren nur wenige, die ich kannte, die meisten Herrn und Damen waren mir fremd. Man spielte und tanzte, und von Anfang gefiel es mir sehr wohl, nachher freilich nicht, denn –“

„Denn?“ fragte Lanbek gespannt.

„Kurz, es gefiel mir nicht, und ich werde nicht mehr hingehen.“

„Ich wollte, du wärest nie dort gewesen“, sagte der junge Mann.

„Ach, konnte ich denn wissen, daß die Gesellschaft nicht für mich passen würde?“ erwiderte Lea traurig; „und überdies sagte mein Bruder ausdrücklich, es werde meinen Herrn Bräutigam freuen, wenn ich auch unter die Leute komme.“

„Wen hat er gesagt, wen werde es freuen?“ rief Lanbek.

„Nun dich“, antwortete Lea; „überhaupt, Lanbek, ich weiß gar nicht, wie ich dich verstehen soll; du bist so kalt, so gespannt, gerade jetzt, da wir offen und ohne Hindernis reden können, bist [425] du so ängstlich, beinahe stumm; statt ins Haus zu uns zu kommen, bestellst du mich heimlich in den Garten, ich weiß doch nicht, vor wem man sich so sehr zu fürchten hat, wenn man einmal in einem solchen Verhältnis steht?“

„In welchem Verhältnis?“ fragte Lanbek.

„Nun, wie fragst du doch wieder so sonderbar! Du hast bei meinem Bruder um mich angehalten, und er sagte dir zu, im Fall ich wollte und der Herzog durch ein Reskript[WS 1] das Hindernis wegen der Religion zwischen uns aufhöbe. Ich bin nur froh, daß du nicht Katholik bist, da wäre es nicht möglich, aber ihr Protestanten habt ja kein kirchliches Oberhaupt und seid doch eigentlich so gut Ketzer wie wir Juden.“

„Lea! um Gotteswillen, frevle nicht!“ rief der junge Mann mit Entsetzen. „Wer hat dir diese Dinge gesagt? O Gott, wie soll ich dir diesen furchtbaren Irrtum benehmen?“

„Ach, geh’ doch!“ erwiderte Lea. „Daß ich es wagte, mein verhaßtes Volk neben euch zu stellen, bringt dich auf. Aber sei nicht bange; mein Bruder, sagen die Leute, kann alles, er wird uns gewiß helfen, denn was er sagt, ist dem Herzog recht. Doch eine Bitte habe ich, Gustav; willst du mich nicht bei den Deinigen einführen? Du hast zwei liebenswürdige Schwestern; ich habe sie schon einigemal vom Fenster aus gesehen; wie freut es mich, einst so nahe mit ihnen verbunden zu sein! Bitte, laß mich sie kennen lernen.“

Der unglückliche junge Mann war unfähig, auch nur ein Wort zu erwidern; seine Gedanken, sein Herz wollten stille stehen. Er blickte wie einer, der durch einen plötzlichen Schrecken aller Sinne beraubt ist, mit weiten, trockenen Augen nach dem Mädchen hin, das, wenn auch nicht in diesem Augenblick, doch bald vielleicht noch unglücklicher werden mußte als er, und das jetzt lächelnd, träumend, sorglos wie ein Kind an einem furchtbaren Abgrund sich Blumen zu seinem Kranze pflückte.

„Was fehlt dir, Gustav?“ sprach sie ängstlich, als er noch immer schwieg. „Deine Hand zittert in der meinigen; bist du krank? Du bist so verändert.“ Doch – noch ehe er antworten konnte, sprach eine tiefe Stimme neben Lea: „Bon soir, Herr

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Antwortschreiben auf eine Anfrage an die Kanzlei
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 424–425. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_215.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)