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ist sein Vergnügen, ein Regiment im Waffenglanz seine Freude; leider fällt für uns andere selten eine müßige Stunde ab, und daher kommt es, daß diese Juden und Judenchristen das Zepter führen. Er gilt für einen großen General, er hat mit Prinz Eugen schöne Waffenthaten verrichtet, und ein schlanker junger Mann, mit einer Narbe auf der Stirne, Mut in den Blicken, wie Ihr, Herr von Pinassa, ist ihm jederzeit in seinem Heere willkommen.“

„Was der Sarazene altklug sprechen kann über Juden und Christen!“ sprach der Kapitän. „Doch öffne dein Visier und zeige deine Farben, mein Kamerad soll nun auch wissen, mit wem er spricht; das ist der umsichtige, rechtskundige, fürtreffliche Herr juris utriusque Doctor[WS 1] Lanbek, leiblicher Sohn des berühmten Landschaftskonsulenten[WS 2] Lanbek, welchem er als Aktuarius[WS 3] substituiert ist; ein trefflicher Junge, parole d’honneur! wenn er sich nicht neuerer Zeit hin und wieder durch sonderbare Melancholei prostituierte, noch trefflicher, wenn ihm der Herr auch einen Sinn für das schöne Geschlecht eingepflanzt hätte.“

Lanbek nahm bei diesen Worten die Maske ab und zeigte dem neuen Bekannten ein errötendes Gesicht von hoher Schönheit. Unter dem Turban stahlen sich gelbe Locken hervor und umwallten kunstlos und ungepudert die Stirne. Eine kühn gebogene Nase und dunkle, tiefblaue Augen gaben seinem Gesicht einen Ausdruck von unternehmender Kraft und einen tiefen Ernst, der mit den weichen Haaren und ihrer sanften Farbe in überraschendem Widerspruche war. Doch das Strenge dieser Züge und dieser Augen milderte ein angenehmer Zug um den Mund, als er antwortete: „Ich öffne mein Visier und zeige Euch ein Gesicht, das Euch recht herzlich bei uns willkommen heißt. Ich trinke auf Euer Wohl dieses Glas, dann aber werdet Ihr entschuldigen, wenn ich aufbreche.“

„Pro poena trinkst du zwei“, rief der Kapitän mit komischem Pathos, indem er einen ungeheuern Hausschlüssel aus der Tasche nahm und ihn als Zepter gegen den Sarazenen senkte; „hast du so wenig Ehrfurcht vor deinem Senior, daß du dich erfrechst, in Loco Gläser zu trinken, ohne daß sie dir ordentlich vom Präses [387] diktiert sind? O tempora, o mores![WS 4] Wo ist Zucht und Sitte dieser Füchse hin? Pinassa! Zu unserer Zeit war es doch anders!“

Die jungen Männer lachten über diese klägliche Reminiszenz des ehmaligen Amizistenseniors; der Kapitän aber faßte Lanbek schärfer ins Auge und sagte: „Herr Bruder! nimm mir’s nicht übel, aber in dir steckte schon lang etwas wie ein Fieber, und heute abend ist die Krisis; ich setze meine verlorene Flasche, davon geht nichts ab, aber ich wette zehn neue; sei ehrlich Gustav – du warst heute abend schon als Bauer hier, und dein Alter weiß nichts vom Sarazenen.“

Gustav errötete, reichte dem Freunde die Hand und winkte ihm ein Ja zu.

„Alle Tausend!“ rief der Kapitän; „Junge, was treibst du? Wer hätte das hinter dem stillen Aktuarius gesucht? Auf dem Karneval das Kostüm zu ändern! Und so ängstlich, so geheimnisvoll, so abgebrochen; willst du etwa dem Juden zu Leibe gehen?“

Der Gefragte errötete noch tiefer und nahm schnell die Maske vor; ehe er noch antworten konnte, sagte Reelzingen: „Herr Bruder, du bringst mich auf die rechte Fährte. Wo habt ihr beide, du und die Orientalin, die der Finanzdirektor führte, das Zeug zu euren Turbanen gekauft? Gustav, Gustav!“ setzte er, mit einem Finger drohend, hinzu, „du wohnst dem Juden gegenüber, ich wette, du weißt, wer die stolze Donna ist, die er führt.“

„Was weiß ich!“ murmelte Lanbek unter seiner Larve.

„Nicht von der Stelle, bis du es sagst“, rief der Kapitän; „und wenn du auf deinem Trotz beharrst, so schleiche ich mich an die Orientalin und flüstere ihr ins Ohr, der Sarazene habe mich in sein Geheimnis eingeweiht.“

„Das wirst du nicht thun, wenn ich dich ernstlich bitte, es zu unterlassen“, erwiderte der junge Mann, wie es schien, sehr ernst; „wenn ich übrigens Vermutungen trauen darf, so ist es Lea Oppenheimer, des Ministers Schwester. Und nun adieu! Wenn ihr mir im Saal begegnen solltet, kennt ihr mich nicht, und Reelzingen, wenn mein Vater fragt –“

„So weiß ich nichts von dir, versteht sich“, erwiderte dieser. Der Sarazene erhob sich und ging. Die Freunde aber sahen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Doktor beider Rechte (des Zivil- und Kirchenrechts)
  2. Landschaft ist hier in der älteren Bedeutung gebraucht als politische Institution der Stände. Konsulenten waren als juristische Berater und Anwälte für diese tätig; siehe auch Württembergische Landstände.
  3. Verwaltungsbeamter
  4. O tempora, o mores! (O was für Zeiten, o was für Sitten), Ausspruch Ciceros in seiner ersten Rede gegen Catilina
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 386–387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_196.png&oldid=- (Version vom 30.1.2023)