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unserer Scheidung brauchen wir weiter keine Assisen[WS 1], die kann sogleich abgemacht werden. Folgen Sie!“

Josephe, die diese Worte verstand, sprang auf; sie warf sich vor dem Wütenden nieder, sie beschwor ihn, alles nur über sie ergehen zu lassen; denn sein Freund sei ja ganz unschuldig; sie wies hin auf den Zettel in seiner Hand, den sie erkannte; sie schwor, daß Fröben erst heute erfahren, wer sie sei. Aber der junge Mann selbst unterbrach ihre Fürbitten, er hob sie auf und führte sie zum Sofa zurück. „Ich bin gewohnt“, sagte er kaltblütig zum Baron, „bei solchen Gängen zuerst meine Arrangements zu treffen, und du wirst wohlthun, es auch nicht zu unterlassen. Vor allem geht deine Frau jetzt aus dem Schloß, denn hier will ich sie nicht mehr wissen, wenn ich nicht da bin, sie vor deinen Mißhandlungen zu schützen.“

„Du handelst ja hier wie in deinem Eigentum“, erwiderte der Baron, vor Zorn lachend; „doch Madame war ja schon vorher dein Eigentum, ich hätte es beinahe vergessen; wohin soll denn der süße Engel gebracht werden? In ein Armenhaus, in ein Spital, oder an den nächsten besten Zaun, um ihr Gewerbe fortzusetzen?“

Fröben hörte nicht auf ihn; er wandte sich zu Josephe: „Wohnt die Gräfin noch in der Nähe?“ fragte er sie. „Glauben Sie wohl für die nächsten Tage einen Aufenthalt dort zu finden?“

„Ich will zu ihr gehen“, flüsterte sie.

„Gut; Faldner wird die Gnade haben, Sie hinfahren zu lassen, dort erwarten Sie das Weitere, ob er einsieht, wie Unrecht er uns beiden gethan, oder ob er darauf beharrt, sich von Ihnen zu trennen.“


35.

Josephe war zu der Gräfin abgefahren; der Freund hatte ihr geraten, bei ihrer Ankunft nur einen Besuch von einigen Tagen vorzugeben, indessen wolle er ihr über die Stimmung seines Freundes Nachricht geben, und wenn es möglich wäre, ihn bereden, sich mit ihr zu versöhnen. „Nein“, rief sie leidenschaftlich, indem sie von der Terrasse an den Wagen hinabstieg, „in diese Thür kehre ich nie mehr zurück, auf ewig wende ich diesen Mauern [371] den Rücken. Glauben Sie, eine Frau vermag viel zu ertragen, ich habe lange dulden müssen, und das Herz wollte mir oft zerspringen, aber heute hat er mich zu tief beleidigt, als daß ich ihm vergeben könnte. Und sollte ich wieder zurückkehren müssen auf den Pont des Arts, die Menschen um ein paar Sous anzuflehen, ich will es lieber thun, als noch länger solche niedrige Behandlung von diesem rohen Menschen mir gefallen lassen. Mein Vater war ein tapferer Soldat und ein geachteter Offizier Frankreichs, seine Tochter darf sich nicht bis zur Magd eines Faldners entwürdigen.“

Der junge Mann hatte nach ihrer Abreise einige Briefe geschrieben und war gerade mit Ordnen seines kleinen Gepäcks beschäftigt, als Faldner in das Zimmer trat. Fröben sah ihn verwundert an und erwartete neue Angriffe und Ausbrüche seines Zornes. Jener aber sagte: „Ich glaube, je mehr ich diese unglücklichen Zeilen lese, die ich heute mittag auf deinem Zimmer fand, immer mehr, daß du eigentlich doch unschuldig an der miserablen Historie bist, nämlich, daß du vorher nichts wußtest und die Person nicht kanntest; daß ich mein Weib in deinen Armen traf, verzeihe ich dir, denn jene Person hatte aufgehört mein zu sein, als sie den thörichten Brief an dich schrieb.“

„Es ist mir wegen unseres alten Verhältnisses erwünscht“, antwortete Fröben, „wenn du die Sache so ansiehst. Hauptsächlich auch, weil ich dadurch Gelegenheit bekomme, vernünftig und ruhig mit dir über Josephe zu sprechen. Fürs erste mein heiliges Wort, daß zwischen ihr und mir bis heute mittag nie, auch früher nicht, etwas vorging, was im geringsten ihrer Ehre nachteilig wäre; daß sie arm war, daß sie einmal genötigt war, die Hülfe der Menschen anzurufen –“

„Nein, sag’ lieber, daß sie bettelte“, rief Faldner hitzig, „und nachts auf den Straßen und Brücken der liederlichen Hauptstadt umherzog, um Geld zu verdienen; ich hätte ja schon damals das Vergnügen ihrer nähern Bekanntschaft haben können, ich war ja bei der rührenden Szene auf Pont des Arts. Nein, wenn ich dir auch alles glaubte, ich bin dennoch beschimpft; die Familie Faldner und eine Bettlerin.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Assise, frz. für Sitzung, im 19. Jh. Bezeichnung für Geschworenengerichte; siehe auch den Wikipedia-Artikel Assisen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 370–371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_188.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)