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dachte, er zweifelte keinen Augenblick, daß er sie finden werde, er drückte den Ring an die Lippen, er stürzte aus der Laube in den Garten, und seine Blicke streiften auf allen Wegen, in allen Büschen nach der teuren Gestalt. Aber er spähte vergebens; er fragte die Arbeiter im Garten, die Diener im Schlosse, ob sie keine Fremde gesehen haben; man hatte sie nicht bemerkt. Bestürzt, beinahe keiner Überlegung fähig, kam er zu Tische; umsonst forschte Faldner nach dem Grund seiner verstörten Blicke, umsonst fragte ihn Josephe, ob er denn vielleicht von gestern her noch so trübe gesinnt sei. „Es ist mir etwas begegnet“, antwortete er, „das ich ein Wunder nennen müßte, wenn nicht meine Vernunft sich gegen Aberglauben sträubte.“


30.

Dieser sonderbare Vorfall und die Worte des Briefchens, das er wohl zehnmal des Tages überlas, hatten den jungen Mann ganz tiefsinnig gemacht. Er fing an nachzusinnen, ob es denn möglich sei, daß überirdische Wesen in das Leben der Sterblichen eingreifen können. Wie oft hatte er über jene Schwärmer gelacht, die an Erscheinungen, an Boten aus einer andern Welt, an Schutzgeister, die den Menschen umschweben, wie an ein Evangelium glaubten. Wie oft hatte er ihnen sogar die physische Unmöglichkeit dargethan, daß körperlose Wesen dennoch sichtbar erscheinen, daß sie dies oder jenes verrichten können. Aber was ihm selbst begegnet war, wie sollte er es deuten? Oft nahm er sich vor, alles zu vergessen, gar nicht mehr daran zu denken, und im nächsten Augenblick quälte er sich ab, seine Erinnerung recht lebhaft vor das Auge treten zu lassen; deutlicher als je erschienen dann wieder ihre Züge, er hatte sie ja gesehen, als sie sich an der Ecke noch einmal umwandte; er hatte den holden Mund, diese rosigen Wangen, dieses Kinn, diesen schlanken Hals wiedergesehen! Er holte jenes Bild herbei, er verglich Zug um Zug, er deckte die Hand auf Auge und Stirne der Dame, und es war das holde Gesichtchen, wie es unter der Halbmaske hervorschaute!

Er hatte sich, weil Josephe am nächsten Morgen im Hause allzusehr beschäftigt war, um ihn zu unterhalten, wieder in die [359] Laube gesetzt. Er las, und während des Lesens beschäftigte ihn immer der Gedanke, ob sie ihm wohl wiedererscheinen werde. Die Hitze des Mittags wirkte betäubend auf ihn; mit Mühe suchte er sich wach zu halten, er las eifriger und angestrengter, aber nach und nach sank sein Haupt zurück, das Buch entfiel seinen Händen, er schlief.

Beinahe um dieselbe Zeit wie gestern erwachte er, aber keine Gestalt mit grünem Schleier war weit und breit zu sehen; er lächelte über sich selbst, daß er sie erwartet habe, er stand traurig und unzufrieden auf, um ins Schloß zu gehen, da erblickte er neben sich ein weißes Tuch, das er sich nicht erinnern konnte hingelegt zu haben; er sah es an, es mußte wohl dennoch sein gehören, denn in der Ecke war sein Namenszug eingenäht. „Wie kömmt dies Tuch hieher?“ rief er bewegt, als er bei genauerer Besichtigung entdeckte, daß es eines jener Tücher sei, die ihm das Mädchen hatte fertigen müssen, und die er wie Heiligtümer sorgfältig verschloß. „Soll dies aufs neue ein Zeichen sein?“ Er entfaltete das Tuch und suchte, ob nicht vielleicht wieder einige Zeilen eingelegt seien? Es war leer, aber in einer andern Ecke des Tuches entdeckte er noch einige Lettern, die wie sein Name eingenäht waren; zierlich und nett standen dort die Worte „Auf immer!“ – „Also dennoch hier gewesen“, rief der junge Mann unmutig, „und ich konnte ihre liebliche Erscheinung schnöder Weise verschlafen? Warum gibt sie mir wohl ein neues Zeichen? Warum diese traurigen Worte wiederholen, die mich schon damals und erst gestern wieder so unglücklich machten?“ Auch heute befragte er nach der Reihe die Domestiken, ob nicht eine fremde Person im Garten gewesen sei? Sie verneinten es einstimmig, und der alte Gärtner sagte, seit drei Stunden sei gar niemand durch den Garten gegangen als nur die gnädige Frau. „Und wie war sie angezogen?“ fragte Fröben, auf sonderbare Weise überrascht. „Ach Herr, da fragt Ihr mich zu viel“, antwortete der Alte. „Sie ist halt angezogen gewesen in vornehmen Kleidern, aber wie, das weiß ich nicht zu beschreiben; als sie vor mir vorbeiging, nickte sie freundlich und sagte: „Guten Abend, Jakob.“

Der junge Mann führte den Alten beiseite. „Ich beschwöre

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 358–359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_182.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)