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Frauen wischten sich hin und wieder die Augen. Die Männer waren ernster geworden und schienen mit großem Interesse zuzuhören, nur der Baron lächelte hin und wieder seltsam, stieß bei dieser oder jener Stelle seinen Nachbar an und flüsterte ihm seine Bemerkungen zu. Jetzt, als Fröben geschlossen hatte, brach er in lautes Gelächter aus. „Das heiße ich mir sich gut aus der Affaire ziehen!“ rief er, „ich hab’ es ja immer gesagt, mein Freund ist ein Schlaukopf. Seht nur, wie er die Damen zu rühren wußte, der Schelm! Wahrhaftig, meine Frau heult, als habe ihr der Pfarrer die Absolution versagt. Das ist köstlich, auf Ehre! Dichtung und Wahrheit! Ja, das hast du deinem Goethe abgelauscht, Dichtung und Wahrheit, es ist ein herrlicher Spaß.“

Fröben fühlte sich durch diese Worte aufs neue verletzt. „Ich sagte dir schon“, sagte er unmutig, „daß ich die Dichtung oder Erdichtung gänzlich beiseite ließ und nur die Wahrheit sagte; ich hoffe, du wirst es als solche ansehen.“

„Gott soll mich bewahren!“ lachte der Baron. „Wahrheit! Das Mädchen hast du dir unterhalten, Bester, das ist die ganze Geschichte, und aus deinen Abendbesuchen bei ihr hast du uns einen kleinen Roman gemacht. Aber gut erzählt, gut erzählt, das lasse ich gelten.“

Der junge Mann errötete vor Zorn; er sah, wie Josephe ihren Gatten starr und ängstlich ansah; er glaubte zu sehen, daß auch sie vielleicht seinen Argwohn teile und schlecht von ihm denke; die Achtung dieser Frau wenigstens wollte er sich durch diese gemeinen Scherze nicht nehmen lassen. „Ich bitte, schweigen wir davon“, rief er, „ich habe nie in meinem Leben Ursache gehabt, irgend etwas zu bemänteln oder zu entstellen, kann es aber auch nicht dulden, wenn andere mir dieses Geschäft abnehmen wollen. Ich sage dir zum letztenmal, Faldner, daß sich, auf mein Wort, alles so verhält, wie ich es erzählte.“

„Nun, dann sei es Gott geklagt“, erwiderte jener, indem er die Hände zusammenschlug; „dann hast du aus lauter übertriebenem Edelsinn und theoretischer Zartheit ein paar hundert Franks an ein listiges Freudenmädchen weggeworfen, das dich durch ein gewöhnliches Histörchen von Elend und kranker Mutter [349] köderte; hast nichts davon gehabt als einen armseligen Kuß! Armer Teufel! In Paris sich von einer Metze so zum Narren halten zu lassen.“

Noch mehr als die vorige Beschuldigung reizte den jungen Mann dieses spöttische Mitleid und das Gelächter der Gesellschaft auf, die auf seine Kosten den schlechten Witz des Barons applaudierte. Er wollte eben aufs tiefste gekränkt die Gesellschaft verlassen, als ein sonderbarer, schrecklicher Anblick ihn zurückhielt. Josephe war, bleich wie eine Leiche, langsam aufgestanden; sie schien ihrem Gatten etwas erwidern zu wollen, aber in demselben Moment sank sie ohnmächtig, wie tot zusammen. Bestürzt sprang man auf, alles rannte durcheinander, die Frauen richteten die Ohnmächtige auf, die Männer fragten sich verwirrt, wie dies denn so plötzlich gekommen sei, Fröben hatte der Schrecken beinahe selbst ohnmächtig gemacht, und der Baron murmelte Flüche über die zarten Nerven der Weiber, schalt auf die grenzenlose Dezenz, auf die ängstliche Beobachtung des Anstandes, wovon man ohnmächtig werde, suchte bald die Gesellschaft zu beruhigen, bald rannte er wieder zu seiner Frau; alles sprach, riet, schrie zusammen, und keiner hörte, keiner verstand den andern.

Josephe kam nach einigen Minuten wieder zu sich; sie verlangte nach ihrem Zimmer, man brachte sie dahin, und die Mädchen und Frauen drängten sich neugierig und geschäftig nach; sie gaben hunderterlei Mittel an, die wider die Ohnmacht zu gebrauchen, sie erzählten, wie ihnen da oder dort dasselbe begegnet, sie wurden darüber einig, daß die große Anstrengung der Frau von Faldner, die vielen Sorgen und Geschäfte an diesem Tage diesen Zufall notwendig haben herbeiführen müssen, und die Sorge, der Baron möchte sich vielleicht blamieren, da er ohnedies schon recht unanständig gewesen, habe die Sache noch beschleunigt.

Der Baron suchte indessen unter den Männern die vorige Ordnung wiederherzustellen. Er ließ fleißig einschenken, trank diesem oder jenem tapfer zu und suchte sich und seine Gäste mit allerlei Trostgründen zu beruhigen. „Es kömmt von nichts“, rief er, „als von dem Unwesen der neuern Zeit; jede Frau von Stand hat heutzutage schwache Nerven, und wenn sie die nicht

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 348–349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_177.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)