Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 173.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und einen Monat am Hauszins, und der Mutter habe ich davon gekocht, es ist aber immer noch übriggeblieben.‘

‚Wie ärmlich mußten Sie wohnen, wenn Sie von diesem Gelde eine Apothekerrechnung, einen Monat Hauszins bezahlen und acht Tage lang kochen konnten! Ich will aber genau wissen‘, fuhr ich fort, ‚was und wieviel Sie noch haben.‘

‚Mein Herr!‘ sagte sie, indem sie beleidigt einen Schritt zurücktrat.

‚Mein gutes Kind, das verstehen Sie nicht‘, erwiderte ich, indem ich ihr näher trat; ‚oder Sie wollen es sich aus übertriebenem Zartgefühl nicht gestehen; ich frage Sie ernstlich, wenn Sie mit den paar Franken zu Rande sind, haben Sie Hülfe zu erwarten?‘

‚Nein‘, sagte sie schüchtern und weich, ‚keine.‘

‚Denken Sie an Ihre Mutter und verschmähen Sie meine Hülfe nicht!‘ Ich hatte ihr bei diesen Worten meine Hand geboten; sie ergriff sie hastig, drückte sie an ihr Herz und pries meine Güte.

‚Nun wohlan, so kommen Sie‘, fuhr ich fort, indem ich ihren Arm in den meinigen legte; ‚ich kam leider nicht gerade von Hause, als ich hieher kam, und hatte mich nicht versehen; Sie werden daher die Güte haben, mich einige Straßen zu begleiten bis in meine Wohnung, daß ich Ihnen für die Mutter etwas mitgebe.‘ Sie ließ sich schweigend weiterführen, und so angenehm mir der Gedanke war, sie noch ferner unterstützen zu können, so war doch mein Gefühl beinahe beleidigt, als sie so ganz ohne Sträuben mitging, nachts in die Wohnung eines Mannes. Aber wie ganz anders kam es, als ich dachte. Wir mochten wohl etwa zwei- oder dreihundert Schritte fortgegangen sein, da stand sie stille und entzog mir ihren Arm. ‚Nein, es kann, es darf nicht sein‘, rief sie in Thränen ausbrechend. ‚Was betrübt dich auf einmal?‘ fragte ich verwundert, ‚was darf nicht sein?‘

‚Nein, ich gehe nicht mit, ich darf nicht mit Ihnen gehen.‘

‚Aber mein Gott‘, erwiderte ich, indem ich mich etwas aufgebracht stellte; ‚Sie haben doch wahrhaftig sehr wenig Vertrauen [341] zu mir; wenn nicht Ihre Mutter wäre, gewiß, ich ginge jetzt von Ihnen, denn Sie kränken mich.‘

Sie nahm meine Hand, sie drückte sie bewegt. ‚Habe ich Sie denn beleidigt?‘ rief sie, ‚o Gott weiß, das wollte ich nicht; verzeihen Sie einem armen unerfahrenen Mädchen; Sie sind so großmütig, und ich sollte Sie beleidigen?‘

‚Nun denn, so komm’‘, sagte ich, indem ich sie weiterzog, ‚es ist keine Zeit zu verlieren, es ist spät und der Weg ist weit.‘ Aber sie blieb stehen, weinte und flüsterte: ‚Nein, um keinen Preis gehe ich weiter.‘

‚Aber vor wem fürchtest du dich denn? Es kennt dich ja kein Mensch, es sieht dich ja keine Seele; du kannst getrost mit mir kommen.‘

‚Ich bitte Sie um Gotteswillen, lassen Sie mich. Nein, nein, es darf nicht sein, dringen Sie nicht weiter in mich.‘ Sie zitterte; ich fühlte wohl, wenn ich ihr die Not der Mutter noch einmal recht dringend vorstellte, so ging sie mit, aber die Angst des Mädchens rührte mich tief.

‚Gut, so bleiben Sie hier‘, sprach ich; ‚aber sagen Sie mir, können Sie vielleicht arbeiten?‘

‚O ja, mein Herr‘, erwiderte sie, ihre Thränen trocknend.

‚Könnten Sie vielleicht meine feinere Wäsche besorgen?‘

‚Nein‘, antwortete sie sehr bestimmt. ‚Dazu sind wir nicht eingerichtet.‘

‚Hier ist ein weißes Tuch‘, fuhr ich fort. ‚Können Sie mir vielleicht ein halb Dutzend besorgen und fertig machen?‘

Sie besah das Tuch und sagte: ‚Mit Vergnügen, und recht fein will ich es nähen!‘ Zu meiner eigenen Beschämung mußte ich jetzt dennoch Geld hervorziehen, obgleich ich es vorhin verleugnet hatte.

‚Kaufen Sie sechs solcher Tücher‘, fuhr ich fort, ‚und können Sie wohl drei davon bis Sonntag abend fertig machen?‘ Sie versprach es; ich gab ihr noch etwas für die Mutter und sagte ihr, daß ich heute darauf nicht eingerichtet sei, aber Sonntag mehr thun könne. Sie dankte innig; es schien sie zu freuen, daß ich ihr Arbeit gegeben, denn noch einmal plauderte sie davon, wie schön

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 340–341. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_173.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)