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daß ihn diese Vermutungen freudig überraschen werden! Sie kennen sein Mißtrauen nicht. Alles soll ja nur seinen ganz gewöhnlichen Gang gehen, alles recht schicklich und ordentlich sein, und alles Außergewöhnliche haßt er aus tiefster Seele. Ich mußte es ja“, fuhr sie nicht ohne Bitterkeit fort, „ich mußte es ja als eine Gnade ansehen, daß mich der reiche, angesehene Mann heiratete, daß er mit den wenigen Dokumenten zufrieden war, die ich ihm über meine Familie geben konnte. Muß ich es denn“, rief sie heftiger weinend, „muß ich es denn nicht noch alle Tage hören, daß er mit den angesehensten Familien sich hätte verbinden, daß er dieses oder jenes reiche Fräulein hätte heiraten können? Sagt er es mir nicht so oft, als er mir zürnt, daß mein Adel neu sei, daß man von dem Geschlecht meiner Mutter gar nichts wisse, und daß sogar einige Tannensee in der Schweiz das von abgelegt haben und Kaufleute geworden seien?“

Jetzt erst ging dem jungen Mann ein schreckliches Licht auf. „Also in ein Haus des Unglücks, in eine unglückselige Ehe bin ich gekommen“, sprach er zu sich. „Ach, nicht aus Liebe hat sie ihn geheiratet, sondern aus Not, weil sie allein stand; und Faldner, so kenne ich ihn, hat sie genommen, weil sie schön war, weil er mit ihr glänzen konnte. Das unglückliche Weib! Und der Barbar macht ihr Vorwürfe über ihr Unglück, läßt sie sogar fühlen, was sie ihm verdanke?“ Ein gemischtes Gefühl von Unmut über seinen Freund, von Mitleid und Achtung gegen die schöne, unglückliche Frau zog ihn zu ihr hin; er küßte ihre Hand, er bemühte sich, ihr Mut und Vertrauen einzuflößen. „Sehen Sie dies alles als nicht gesagt an“, flüsterte er; „ich sehe, es macht Ihnen Kummer; was nützt es denn Faldner; verschweigen wir ihm die thörichten Mutmaßungen, die ich hatte, die ja ohnedies zu nichts führen können.“

Josephe sah ihn bei diesen Worten groß an; ihre Thränen verlöschten in den weit geöffneten Augen, und Fröben glaubte eine Art von Stolz in ihren Mienen zu lesen. „Mein Herr“, sagte sie, und ihre Gestalt schien sich höher aufzurichten, „ich kann unmöglich glauben, daß, was Sie sagten, Ihr Ernst sein kann; auf jeden Fall werden Sie wissen, daß die Gattin des Baron von [313] Faldner kein Geheimnis mit Ihnen teilt, das nicht ihr Gatte wissen dürfte.“

Unter diesen Worten hatte sie das Theegeschirr unsanft von sich gerückt, war aufgestanden und – nach einer kurzen Verbeugung verließ sie den erstaunten Gast. Fröben wollte ihr nach, wollte abbitten, was er gethan, wollte alles auf einmal gut machen, aber sie war schon in der Thüre verschwunden, ehe er nur Fassung genug hatte, sich vom Sofa aufzuraffen. Unmutig ging er hinab in den Garten; er wußte nicht, sollte er sich selbst grollen oder der Empfindlichkeit der Dame, die ihm in diesem Augenblick übergroß erschien. Doch, wie es in solchen Fällen zu geschehen pflegt, sein aufgeregtes Blut wallte nach und nach ruhiger, und sein Geist gewann Raum, über sich selbst nachzusinnen. Und hier fand er nun manches, was Josephen zur Entschuldigung diente. „Sie liebt ihn nicht“, sagte er zu sich, „er behandelt sie vielleicht roh, zeigt sich mehr als Herr, denn als Gatte. Sie wurde weich, als ich mit ihr über höhere Genüsse des Lebens sprach, ich sah, wie sie erschrak, als sie sich gegen mich verraten hatte, als sie aussprach, welcher Mangel selbst mitten im äußeren Glück sie drücke. Und mußte sie sich nicht ängstlich berührt fühlen, daß sie diesen Mangel einem Freund ihres Gatten verriet? Und weiter; als ich ihr alles, alles sagte, als ich mit einer gewissen Bestimmtheit von ihrer Abstammung sprach, als ich, vielleicht etwas unzart, Saiten berührte, die sonst niemand bei ihr antastete, mußte sie nicht dadurch schon außer sich selbst geraten? Und als sie vollends den Argwohn, die Zweifelsucht des Barons bedachte, wurde sie nicht immer ängstlicher, immer verlegener, und ich“, fuhr er fort, indem er sich vor die Stirne schlug, „ich konnte ihr zumuten, ein Geheimnis mit ihr zu teilen, das sie ihrem nächsten Freund, ihrem Gatten, nicht verraten dürfte? Mußte sie nicht fürchten, wenn sie es verheimlichte, ganz in meiner Hand zu sein; mußte ihr nicht das ganze Anerbieten sonderbar, unzart vorkommen?“ Wie hoch, wie edel erschien ihm jetzt erst der Charakter dieser Frau; wo nahm sie bei dieser Jugend, denn sie konnte höchstens neunzehn zählen, solche Stärke, solche Umsicht, solche ungewöhnliche Bildung, solche feine geselligen Formen her? Er fühlte, vielleicht zum erstenmal

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 312–313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_159.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)