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diesem Bilde habe. Zwar waren ihre Haare, ihre Augen, ihre Stirne gänzlich verschieden von denen des Bildes, aber überraschende Ähnlichkeit glaubte er in Nase, Mund und Kinn, ja sogar in der Haltung des zierlichen Halses zu finden. „Und diese Stimme!“ rief er. „Klang mir diese Stimme nicht gleich anfangs so bekannt? Wie ist mir denn? Wäre es möglich, daß die Gattin meines Freundes jenes Mädchen wäre, die ich nur einmal, nur halb gesehen und ewig liebe und von jenem Augenblick an vergebens suche? Diese Gestalt – ja, auch sie war groß, und als ich den Mantel umschlang, als sie an meinem Herzen ruhte, fühlte ich eine feine, schlanke Taille. Und begegnete ich nicht heute abend so oft ihrem Auge, das prüfend auf mir ruhte? Sollte auch sie mich wiedererkennen? Doch – ich Thor! Wie könnte Faldner bei seinem Mißtrauen, bei seinen strengen Grundsätzen über Adel und unbescholtenen Ruf eine – unbekannte Bettlerin geheiratet haben?“

Er sah wieder prüfend auf das Bild herab, er glaubte in diesem Augenblick Gewißheit zu haben, im nächsten zweifelte er wieder. Er klagte sein treuloses Gedächtnis an. Hatte nicht dieses Gemälde sich so ganz mit seinen früheren Erinnerungen vermischt, daß er die Unbekannte sich nicht mehr anders dachte als wie dieses Bild? Und nun, da er auf eine neue, auffallende Ähnlichkeit gestoßen, stand er nicht vor einem Labyrinth von Zweifeln? Er warf das Gemälde auf die Seite und verbarg seine heiße Stirn in die Kissen seines Bettes. Er wünschte sich tiefen Schlaf herbei, damit er diesen Zweifeln entgehe, daß ihm das wahre Bild mit siegender Kraft in seinen Träumen aufgehe.


12.

Als Fröben am andern Morgen in den Salon trat, wo er frühstücken sollte, war sein rastloser Freund schon ausgeritten, um eine Dammarbeit an der Grenze seines Gutes zu besichtigen. Der Diener, der ihm diese Nachricht gab, setzte mit wichtiger Miene hinzu, daß sein Herr wohl kaum vor Mittag zurückkommen dürfte, weil er noch seine neue Dampfmühle, einige Schläge im Wald, [301] eine neue Gartenanlage nebst vielem andern besichtigen müsse. „Und die gnädige Frau?“ fragte der Gast.

„War schon vor einer Stunde im Garten, um Bohnen abzubrechen, und wird jetzt bald zum Frühstück hier sein.“

Fröben ging im Saal umher und musterte in Gedanken den vergangenen Abend. Wie anders erscheinen alle Bilder in der Morgenbeleuchtung, als sie uns im Duft des Abends erschienen! Auch mit den verworrenen Gedanken, die gestern in ihm auf und ab schwebten, ging es ihm so; er lächelte über sich selbst, über die Zweifel, die ihm seine rege Phantasie aufgeweckt hatte. „Der Baron“, sprach er zu sich, „ist am Ende doch ein guter Mensch; freilich, viele Eigenheiten, einige Roheit, die aber mehr im Äußern liegt. Aber wer länger mit ihm umgeht, gewöhnt sich daran, weiß sich darein zu finden. Und Josephe? Wie vorschnell man oft urteilt! Wie oft glaubte ich rührenden Kummer, tiefe Seelenleiden, Resignation in den Augen, in den Mienen einer Frau zu lesen, ließ mich vom Teufel blenden, sie recht zart trösten und aufrichten zu wollen, und am Ende lag der ganze Zauber in meiner Einbildung; es war dann, näher betrachtet, eine ganz gewöhnliche Frau, die mit den sinnenden Augen, worin ich Wehmut sah, ängstlich die Augen an ihrem Strickstrumpf zählte, oder hinter der ‚von Gram umwölkten‘ Stirne bedachte, was sie auf den Abend kochen lassen sollte.“ Er verfolgte diese Gedanken, um sich selbst mit Ironie zu strafen, um die zartere Empfindung, jene Nachklänge von gestern zu verdrängen, die ihm heute thöricht, überspannt erschienen. In diese Gedanken versunken war er an den Spiegel getreten und hatte die Besuchkarten überlesen, die dort angesteckt waren. Da fiel ihm eine in die Hand, welche Faldners eigene Verlobung ankündigte. Er las die zierlich gestochenen Worte: „Freiherr F. von Faldner mit seiner Braut Josephe von Tannensee.“

„Von Tannensee?“ Wie ein Blitz erleuchtete ihm dieser Name jene dunkle Ähnlichkeit, die er zwischen der Gattin seines Freundes und seinem lieben Bilde gefunden. Wie? Wäre sie vielleicht die Tochter jener Laura, die einst mein guter Don Pedro geliebt? Welche Freude für ihn, wenn es so wäre, wenn ich ihm von der

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 300–301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_153.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)