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„Ganz nach Eurer Bequemlichkeit“, erwiderte der Don, seine Hand drückend; „Euer Vertrauen werde ich zu ehren wissen.“ So schieden sie; der Spanier begleitete den jungen Mann höflich bis an die Schwelle seines Vorsaals, und Diego leuchtete ihm bis in die Straße. Nach seiner Gewohnheit ging Fröben den Tag nachher in die Galerie; er stand vor dem Bilde, und wirklich dachte er an diesem Tage mehr an den Alten, denn an die gemalte Dame; aber er wartete über ein Stunde – der Alte kam nicht. Er ging mit dem Schlag zwei Uhr in die Anlagen, ging langsamen Schrittes um den See, vorbei an schönen Equipagen, noch schöneren Damen, vorbei an unzähligen Direktoren und Lieutenants, zog oft sein Fernglas und schaute die lange Promenade hinab, aber die ehrwürdige Gestalt seines alten Freundes wollte sich nicht zeigen; umsonst schaute er nach den dünnen schwarzen Beinen, nach dem spitzen Hut, umsonst nach Diego in den bunten Kleidern mit Sonnenschirm und Regenmantel: er war nicht zu sehen.

„Sollte er krank geworden sein?“ fragte er sich, und unwillkürlich ging er nach dem Schloßplatz hin und nach dem Gasthof zum König von England, um Don Pedro zu besuchen. „Fort ist die ganze Wirtschaft, auf und davon“, antwortete auf seine Frage der Oberkellner. „Gestern abend noch bekam der Prinz Depeschen, und heute vormittag sind Seine Hoheit nebst Gefolge in sechs Wagen nach W. abgereist; der Haushofmeister, er fuhr im zweiten, hat für Sie eine Karte hier gelassen.“

Begierig griff Fröben nach diesem letzten Freundeszeichen. Es war nur Don Pedro di San Montanjo-Ligez, Major Rio di S. A. etc., darauf zu lesen. Verdrüßlich wollte Fröben diesen kalten Abschied einstecken, da gewahrte er auf der Rückseite noch einige Worte mit der Bleifeder geschrieben, er las: „Lebt wohl, teurer Don Fröbenio; Eure Geschichte müßt Ihr mir schuldig bleiben; grüßet und küsset Donna Laura.“

Er lächelte über den Auftrag des alten Herrn, und doch, als er in den nächsten Tagen wieder vor dem Bilde stand, war er wehmütiger als je, denn es war in seinem Leben eine Lücke entstanden durch Don Pedros Abreise. Er hatte sich so gerne mit [291] dem guten Alten unterhalten, er hatte seit langer Zeit zum erstenmal wieder in einem genaueren Verhältnis mit Menschen gelebt, und deutlicher als je fühlte er jetzt, daß nur der Einsame, der Hoffnungslose ganz unglücklich ist. Wäre das Bild nicht gewesen, das ihn mit seinem eigentümlichen Zauber zurückhielt, schon längst hätte er Stuttgart verlassen, das sonst keine Reize für ihn hatte. Als ihm daher eines Tages die Herren Boisserée die treue Kopie jenes lieben Bildes, ein lithographiertes Blatt, zeigten und ihn damit beschenkten, nahm er es als einen Wink des Schicksals auf, verabschiedete sich von dem Urbild, packte die Kopie sorgfältig ein und verließ diese Stadt so stille, als er sie betreten hatte.


9.

Sein Aufenthalt in Stuttgart hatte nur dem Bilde gegolten, das er in jener Galerie gefunden. Er war, als er die Hauptstadt Württembergs berührte, auf einer Reise nach dem Rhein begriffen, und dahin zog er nun weiter. Er gestand sich selbst, daß ihn die letzten Monate beinahe allzu weich gemacht hatten. Er fühlte nicht ohne Beschämung und leises Schaudern, daß sein Trübsinn, sein ganzes Dichten und Trachten schon nahe an Narrheit gestreift hatten. Er war zwar unabhängig, hatte dieses Jahr noch zu Reisen bestimmt, ohne sich irgend einen festen Plan, ein Ziel zu setzen; er wollte diese lange Unterbrechung seiner Reise auf die angenehme Lage der Stadt, auf die herrlichen Umgebungen schieben. Aber hatte er denn wirklich jene Stadt so angenehm gefunden? Hatte er Menschen aufgesucht, kennen gelernt? Hatte er sie nicht vielmehr gemieden, weil sie seine Einsamkeit, die ihm so lieb geworden, störten? Hatte er die herrlichen Umgebungen genossen? „Nein“, sagte er lächelnd zu sich, „man wäre versucht, an Zauberei zu glauben! Ich habe mich betragen wie ein Thor! Habe mich eingeschlossen in mein Zimmer, um zu lesen. Und habe ich denn wirklich gelesen? Stand nicht ihr Bild auf jeder Seite? Gingen meine Schritte weiter als zu ihr oder um einmal allein unter dem Gewühl der Menge auf und ab zu gehen? Ist es nicht schon Raserei, auf so langen Wegen einem Schatten nachzujagen,

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 290–291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_148.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)