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Marmorbusen ab, leget Shawls, Hüte, Federn, Unter- und Oberröckchen, Korsettchen et cetera in den Kasten, so habt ihr dem lieben, herrlichen Kind die Seele genommen, und es bleibt euch nichts als ein hölzernes Kadaver: das Knochengerippe von Freund Heun!

Und wenn ihr euch nicht vor fremden Nationen schämet, wenn ihr über das deutsche Publikum nicht erröten könnet, so errötet vor euch selbst. Schämet euch, ihr Männer, wenn ihr eure Langweile nicht anders töten könnet als mit Hülfe dieses Clauren; schämet euch, ihr Frauen, wenn ihr Gefallen finden könnet an dieser niedrigsten Darstellung eures Geschlechtes; schämet euch, ihr Jünglinge, wenn ihr wahre Liebe in diesem Handbuche der Sinnlichkeit wiederfinden wollet; errötet, wenn ihr es in seiner Schule nicht verlernt habt, errötet vor euch selbst, ihr Jungfrauen, eure Phantasie mit diesen lüsternen Bildern zu schmücken; es gibt eine moralische Keuschheit, eine holde, erhabene Jungfräulichkeit der Seele; man darf darauf rechnen, daß ein Mädchen sie verloren hat, wenn sie Claurens Erzählungen gelesen.

Überlasset seine Schilderung Dirnen, an welchen nichts mehr zu verlieren ist. Man wird es ihnen so wenig übelnehmen, wenn sie ihn lesen, als den Handwerksburschen, wenn sie auf der Straße unzüchtige Lieder singen.

Meine Zuhörer! Ich habe also vor euch gesprochen, weil ich nicht anders konnte. Ich habe nicht auf Dank, nicht auf Lob gerechnet; die Menge ist vielleicht so tief gesunken, daß sie nicht mehr an solche Worte glaubt; meine Stimme verhallt vielleicht in dem tausendstimmigen Hurra, womit man in diesem Augenblick einen frischen Strauß Vergißmeinnicht empfängt.

Doch wenn meine Worte auch nur auf Einem Antlitz jene Röte der Scham aufjagten, die wie die Morgenröte der Bote eines schöneren Lichtes ist, wenn auch nur zwei, drei Herzen entrüstet sich von ihm abwenden, so habe ich für mein Bewußtsein genug gethan! Weiß ich doch, daß es in diesen Landen noch Männer gibt, die mir im Geiste danken, die mir die Hand drücken und sagen: „Du hast gedacht wie wir!“ Amen.



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Novellen.


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 256–257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_131.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)