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Verachtung vor die Thüre geworfen wie einen räudigen Hund, der seine Schwelle nicht verunreinigen soll, das Töchterlein oder die Hausfrau eine Hinterthüre willig öffnen werde, um auf die Honigworte des angenehmen Mannes zu lauschen, der Ernst und Scherz so lieblich zu verbinden weiß, und ihm von den ersparten Milchpfennigen ein Sträußchen Vergißmeinnicht abzukaufen.

Man könnte sich dies gefallen lassen, wenn es sich um eine gewöhnliche Erscheinung der Litteratur handelte, die in Blättern öffentlich getadelt wird, weil sie von den gewöhnlichen Formen abweicht oder unreif ist oder nach Form und Inhalt den ästhetischen Gesetzen nicht entspricht. Hier kann höchstens die Zeit, die man der Lektüre einer Gespenstergeschichte oder eines ehrlichen Ritterromans widmete, übel angewendet scheinen, oder der Geschmack kann darunter leiden. Solange für die jugendliche Phantasie, für Sittlichkeit keine Gefahr sich zeigt, mögen immer die Richter der Litteratur den Verfasser zurechtweisen, wie er es verdient; das allgemeine Publikum wird freilich wenig Notiz davon nehmen. Wenn aber nachgewiesen werden kann, daß eine Art von Lektüre die größtmögliche Verbreitung gewinnt, wenn sie diese gewinnt durch Unsittlichkeit, durch Lüsternheit, die das Auge reizt und dem Ohr schmeichelt, durch Gemeinheit und unreines Wesen, so ist sie ein Gift, das um so gefährlicher wirkt, als es nicht schnell und offen zu wirken pflegt, sondern allmählich die Phantasie erhitzt, die Kraft der Seele entnervt, den Glauben an das wahrhaft Schöne und Edle, Reine und Erhabene schwächt und ein Verderben bereitet, das bedauerungswürdiger ist als eine körperliche Seuche, welche die Blüte der Länder wegrafft.

Ich habe euch vorhin ein Bild entworfen von dem Wesen und der Tendenz dieses Clauren; nach allen Teilen habe ich ihn enthüllt, und wer unter euch kann leugnen, daß er ein solches Gift verbreite? Wer es kann, der trete auf und beschuldige mich einer Lüge! Männer meines Volkes, die ihr den wahren Wert einer schönen, kräftigen Nation nicht verkennt, Männer, die ihr die Phantasie eurer Jünglinge mit erhabenen Bildern schmücken wollt, Männer, die ihr den keuschen Sinn einer Jungfrau für ein hohes Gut erachtet, ihr, ich weiß es, fühlet mit mir. Aber [247] ihr müßt auch gefühlt, gesehen haben, daß jene öffentlichen Stimmen, die den Marktschreier rügten, der den Verblendeten Gift verkauft, nicht selten in eure Häuser gedrungen sind. Ich habe gefühlt wie ihr, und der Ausspruch jenes alten Arztes fiel mir bei: „Gegen Gift hilft nur wieder Gift.“ Ich dachte nach über Ursache und Wirkung jener Mimili-Manier, ich betrachtete genau die Symptome, die sie hervorbrachte, und ich erfand ein Mittel, worauf ich Hoffnung setzte. „Aus denselben Stoffen“, sprach ich zu mir, „mußt du einen Teig kneten, mußt ihn würzen mit derselben Würze, nur reichlicher überall, nur noch pikanter; an diesem Backwerk sollen sie mir kauen, und wenn es ihnen auch dann nicht widersteht, wenn es ihnen auch dann nicht wehe macht, wenn sie an dieser ‚Trüffelpastete‘, an diesem ‚Austernschmaus‘ keinen Ekel fassen, so sind sie nicht mehr zu kurieren, oder – es war nichts an ihnen verloren.“

Zu diesem Zweck scheute ich nicht die Mühe, die reiche Bibliothek von „Scherz und Ernst“, die üppig wuchernde Sumpfpflanze „Vergißmeinnicht“ nach allen ihren Teilen zu studieren. Je weiter ich las, desto mehr wuchs mein Grimm über diese nichtige Erbärmlichkeit. Es war eine schreckliche Arbeit; alle seine Kunstworte (termini technici), alle seine Wendungen, alle seine Schnörkel und Arabesken, jene Kostüms, worein er seine Püppchen hüllt, alle Nüancen der Sinnlichkeit und Lüsternheit, jenen feinen, durchsichtigen Schleier, womit er dem Auge mehr zeigt als verhüllt, alle Schattierungen seines Stils, jenes kokettierende Abbrechen, jenes Hindeuten auf Gegenstände, die man verschweigen will, dies alles und so vieles andere mußte ich suchen, mir zu eigen zu machen. Ich mußte einkehren auf seinen Bällen, bei seinen Schmäusen, ich mußte einkehren in seiner Garküche und die rauchenden Pasteten, den dampfenden Braten, den schmorenden Fisch beriechen, alle Sorten seiner Weine mußt’ ich kosten, mußte den Kork zur Decke springen lassen, mußte die „brüsselnden Bläschen im Lilien-Kelchglas auf und nieder tanzen“ sehen – und dann erst konnte ich sagen, ich habe den Clauren studiert.

Dann erfand ich eine Art von Novelle, in der Manier, wie Clauren sie gewöhnlich gibt, etwas mager, nicht sehr gehaltvoll,

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 246–247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_126.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)