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erwähnen darf? Aber das ist H. Clauren, der geliebte, verehrte, geachtete Schriftsteller, der Mann des Volkes. Schande genug für ein Publikum, das sich Schändlichkeiten dieser Art ungestraft erzählen läßt!

In die eben erwähnte Kategorie von berechnetem Augenreiz für Männer gehören auch die Situationen, in welchen wir oft die Heldinnen finden. Bald wird uns ausführlich beschrieben, wie Magdalis aussah, als sie zu Bette gebracht wurde, bald weidet man sich mit Herrn Stern an Doralicens Angst, zu zwei schlafen zu müssen, bald hört man Vally im Bade plätschern und möchte ihrer naiven Einladung dahin folgen, bald sieht man ein Kammermädchen im Hemde, das kichernd um Pardon bittet, der glühenden, durch alle Nerven zitternden Küsse, der Blicke beim Tanze abwärts auf die Wellenlinien der Tänzerinnen und dergleichen nicht zu gedenken; Honigworte für Leute, die nichts Höheres kennen als Sinnlichkeit, köstlich kandierte Zoten für einen verwöhnten Gaumen, treffliches Hausmittel für junge Wüstlinge und alte Gecken, die mit ihrer moralischen und physischen Kraft zu Rande sind, um dem Restchen Leben durch diese Reizmittel aufzuhelfen!!

Ein zweites Reizmittel für Männer sind jene Zuthaten, die den Gaumen kitzeln. „Heda, Kellner, hieher sechs Flaschen des brüsselnden Schaumweins; ha, wie der Kork knallend an die Decke fährt! Eingeschenkt, laßt ihn nicht verrauchen; jetzt für jeden zwei, drei Dutzend Austern draufgesetzt.“ Ist diese Sprache nicht herrlich? Wird man nicht an Homer erinnert, der immer so redlich angibt, was seine Helden verspeisten; freilich gab er ihnen nur gewöhnliches „Schweinefleisch“, und die Weinsorten rühmt er auch nicht besonders; aber ein Clauren ist denn doch auch etwas anderes als Homer; wer wollte es übelnehmen, wenn er die Körke fliegen läßt und Austern schmaust, 500 Stück zum ersten Anfang?

Ich kannte einen jener bedauernswürdigen Menschen, die man in glänzendem Gewand, mit zufriedener Miene auf den Promenaden umherschlendern sieht. Ihr haltet sie für das glücklichste Geschlecht der Menschen, diese Pflastertreter; sie haben nichts zu thun und vollauf zu leben. Ihr täuschet euch; oft hat [239] ein solcher Herr nicht so viel kleine Münze, um eine einfache Mittagskost zu bezahlen, und was er an großem Gelde bei sich trägt, kann man nicht wohl wechseln. Einen solchen nun fragte ich eines Tages: „Freund, wo speiset Ihr zu Mittag? Ich sehe Euch immer nach der Tafelzeit mit zufriedener Miene die Straße herabkommen, mit der Zunge schnalzend oder in den Zähnen stochernd, bei welchem berühmten Restaurant speiset Ihr?“

„Bei Clauren“, gab er mir zur Antwort.

„Bei Clauren?“ rief ich verwundert, „erinnere ich mich doch nicht, einen Straßenwirt oder Garkoch dieses Namens in hiesiger Stadt gesehen zu haben.“

„Da habt Ihr recht“, entgegnete er, „es ist aber auch kein hiesiger, sondern der Berliner, H. Clauren –“

„Wie, und dieser schickt Euch kalte Küche bis hieher?“

„Kalte und warme Küche nebst etzlichem Getränke. Doch ich will Euch das Rätsel lösen“, fuhr er fort, „ich bin arm, und was ich habe, nimmt jährlich gerade der Schneiderkonto und die Rechnung für Zuckerwasser im Kaffeehause weg; nun bin ich aber gewöhnt, gute Tafel zu halten, was fange ich in diesen Zeiten an, wo niemand borgt und vorstreckt? Ich kaufe mir alle Jahre von ersparten Groschen das herrliche Vergißmeinnicht von H. Clauren, und ich versichere Euch, das ist mir Speisekammer, Keller, Fischmarkt, Konditorei, Weinhandlung, alles in allem. Ihr müßt wissen, daß in solchem Büchlein auf zwanzig Seiten immer eine oder zwei, wie ich sie nenne, Tafelseiten kommen. Ich setze mich mittags mit einem Stück Brot, zu welchem an Festtagen Butter kömmt, nebst einem Glase Wasser oder dünnem Biere an den Tisch, speise vornehm und langsam, und während ich kaue, lese ich im „Vergißmeinnicht“ oder in „Scherz und Ernst“[1]. Seine Tafelseiten werden mir nun zu delikaten Suppentafeln, denn mein Teller ist nicht mehr mit schlechtem Brot besetzt, meine Zähne malmen nicht mehr dieses magere Gebäck, nein, ich esse mit Clauren, und der Mann versteht, was gute Küche ist. Was da an Fasanen, Gänseleberpasteten, Trüffeln, an seltenen Fischen, an –“


  1. Titel einer in vier Serien erschienen Sammlung der meisten Erzählungen Claurens.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 238–239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_122.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)