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er euch einen Hintergrund von Schneebergen, grünen Waldwiesen mit allerlei Vieh; das ist pro primo[WS 1] die Schweiz. Dann einen Krieger neuerer Zeit, mit schlanker Taille von 8 Zollen, etwas bleich (er hat den Freiheitskrieg mitgemacht), das Eiserne Kreuz im Knopfloch etc. Das ist der Held des Stückes. Eine interessante Figur! nämlich Figur als wirklicher Körper genommen, mit Armen, Taille, Beinen etc. und interessant, nicht wegen des Charakters, sondern weil er etwas bleich ist, ein Eisernes Kreuz trägt und so ein Ding von einem preußischen Husaren war. Neben diesen Helden kommt ein frisches, rundes „Dingelchen“ zu stehen, mit kurzem Röckchen, schönen Zwickelstrümpfen etc. Kurz, das Inventarium ihres Körpers und ihres Anzuges könnt ihr selbst nachlesen oder habt es leider im Kopfe. Das Schweizerkind, die Mimili, ist nun so natürlich als möglich, d. h. sie geniert sich nicht, in Gegenwart des Kriegers das Busentuch zu lüften und ihn den Schnee und dergleichen sehen zu lassen, daß ihm „angst und bange“ wird, einiger Schweizerdialekt ist auch eingemischt, der nun freilich im Munde Claurens etwas unnatürlich klingt; kurz, es ist nichts vergessen, die Natur ist nicht nur nachgeahmt, sondern förmlich kopiert und getreulich abgeschrieben. Aber leider ist es nur die Natur, so wie man sie mittelst einer Camera obscura abzeichnen kann. Der warme Odem Gottes, der Geist, der in der Natur lebt, ist weggeblieben, weil man nur das Kostüm der Natur kopierte. Zeichnet die nächste beste Schweizer-Milchmagd ab, so habt ihr eine Mimili, und freilich alles so natürlich als möglich.

Das dritte, was euch so gut mundete an dieser Geschichte, war – das Rührende. Wann und wo war der Kummer der Liebe nicht rührend? Es ist ein Motiv, das jedem Roman als Würze beigegeben wird wie bittere Mandeln einem süßen Kuchen, um das Süße durch die Vorkost des Bitteren desto angenehmer und erfreulicher zu machen. Ihr selbst, meine jungen Zuhörerinnen, und ich habe dies zu öfteren Malen an euch gerügt, versetzt euch gar zu gerne in ein solches Liebesverhältnis, wenn nicht dem Körper, doch dem Geiste nach. Wenn ihr so dasitzet und nähet oder stricket und über eure Nachbarn gehörig geklatscht habt, [231] kommt gar leicht in eurer Phantasie das Kapitel der Liebe an die Reihe, und ihr träumet und träumet und vergesset die Welt und die Maschen an eurem Strickstrumpf. Wenn man nachts durch den Wald geht, so denkt man gerne an arge Schauergeschichten von Mord und Totschlag; gerade so machet ihr es. Je greulicher der Schmerz eines Liebespaares ist, von welchem ihr leset, desto angenehmer fühlet ihr euch angeregt. Da wollet ihr keine Natürlichkeit, da soll es recht arg und türkisch zugehen, und wie den spanischen Inquisitoren, so ist auch ein solches Autodafee[WS 2] ein Freudenfest. Je länger die Liebenden am langsamen Feuer des Kummers braten, je mehr man ihnen mit der Zange des Schicksals die Glieder verrenkt, desto rührender kömmt es euch vor, und doch habt ihr dabei immer noch den Trost in petto, daß der Autor, der diesen Jammer arrangiert, zugleich Chirurg ist und die verrenkten Glieder wieder einrichtet, zugleich Notar, um den Heiratskontrakt schnell zu fertigen, zugleich auch Pfarrer, um die guten Leutchen zusammenzugeben. Ihr habt recht, ihr guten Seelen! Ihr wollet nicht gerührt sein durch tiefere Empfindungen, man darf bei euch nicht jene Moll-Akkorde anschlagen, die durch die Seele zittern, wer wollte auch mit einer Äolsharfe[WS 3] auf einer Kirchweihe aufspielen! Da ist der schnarrende Contrebaß Meister, und je „gräßlicher“ es zugeht, desto rührender ist es.

Ich komme aber auf den vierten Punkt der Mimilismanier, nämlich auf – – das Reizende. Die drei andern Punkte waren das Schafskleid, das ist aber die Kralle, an der ihr den Wolf erkennet, der im Kleide steckt, jenes war die Kutte, unter welcher er unschuldig wie der heilige Franziskus sich bei euch einführt, aber siehe da, das ist der Pferdefuß, und an seinen Spuren wirst du ihn erkennen. Und was ist dieses Reizende? Das ist die Sinnlichkeit, die er aufregt, das sind jene reizenden, verführerischen, lockenden Bilder, die eurem Auge angenehm erscheinen. Es freut mich, zu sehen, daß ihr da unten die Augen nicht aufschlagen könnet; es freut mich, zu sehen, daß hin und wieder auf mancher Wange die Röte der Beschämung aufsteigt; es freut mich, daß Sie nicht zu lachen wagen, meine Herren, wenn ich diesen Punkt berühre. Ich sehe, ihr alle verstehet nur allzuwohl, was ich meine.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Lateinisch: zuerst, fürs Erste.
  2. Autodafee oder Autodafé bezeichnet die Vollstreckung eines Urteils der Inquisition oder eines Glaubensgerichts, beispielsweise die Verbrennung eines Häretikers (Wikipedia).
  3. „Windharfe“, ein Saiteninstrument, das durch einen Luftstrom zum Klingen gebracht wird.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 230–231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_118.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)