Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 098.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

gerührt sah er zu ihr herab, auch sie war tief ergriffen. War es der furchtbare Moment des Wahnsinns, wie sie ihn erlebt und gesehen hatte, war es der Gedanke, daß der, den sie rettete, der nachher aufgelöst von Dankbarkeit nur ihr gehört hatte, daß dieser auf die ersten Lockungen einer Kokette sie verlassen hatte? – Sie stand, das holde Amorettenköpfchen tiefgesenkt, voll Wehmut da; Thräne um Thräne stahl sich aus ihren Augen und rieselte über die Wangen herab.

Er sah sie einige Augenblicke an und teilte stillschweigend ihren Kummer. Doch er konnte ja alles gutmachen, er konnte die Thränen in Lächeln verwandeln. „Sein Sie nur ruhig, gutes, herziges Kind; der tolle Patron da, den Sie so gut getroffen haben, der soll Ihnen abbitten, soll alles wieder gutmachen.“

Sie sah fragend an ihm hinauf und schüttelte dann wehmütig lächelnd das Köpfchen, als wollte sie sagen: „Das ist jetzt alles vorbei und hat ein Ende.“ Er aber ließ sich nicht aus seinem Konzept bringen. „Wetten wir diese Zeichnung“, sagte er, „der undankbare Junker Obenhinaus muß heran und muß wieder brav und mild sein und seine Ida lieb –“

Das Mädchen ward feuerrot. „Herr von Ladenstein“, sagte sie, zwischen Wehmut und Unmut kämpfend, „ich hätte nicht geglaubt, daß Sie –“

„Nun, wenn Sie nicht glauben, so muß ich Ihnen den Glauben in die Hände geben“; damit schritt er zur Thüre und riß sie auf.



Versöhnte Liebe.

Das Mädchen war sprachlos vor Staunen; es wußte nicht, wie ihm geschah und traute seinen Augen nicht. In glänzender Uniform, schön und freundlich wie der Tag, ganz hingegossen in reuevoller Zärtlichkeit lag Emil vor ihr auf den Knien, hatte ihr Händchen gefaßt und preßte heiße, glühende Küsse der Liebe darauf. Sie wollte die Hand zurückziehen, sie zog ihn mit herauf, und ehe sie sich es recht versah – doch das konnte man doch nicht sagen, sie sah sich mit einem blitzschnellen Viertel-Seitenblickchen nach Ladenstein um, doch der schien gar nicht auf sie beide zu [191] achten, denn er schaute unverwandt durch die Scheiben in die Nacht hinaus – also ehe sie sich kaum recht versah, lag sie in des Grafen Armen, fühlte sie seine Lippen auf ihren Lippen und – „solch ein Kuß das ist ein Kuß!“

Und nun bat der arme Sünder um Verzeihung; er sagte ihr, wie ihn die Gräfin so eifersüchtig gemacht hatte, wie er geglaubt habe, der Rittmeister mache ältere Rechte geltend, wie er in der Verzweiflung der Gräfin die Kour gemacht, wie er – nun, er hatte sich stark versündigt, aber sie ließ ihn nicht weiter reden, mit dem ersten Wort seiner Reue war ja auch ihr Kummer verschwunden, sie legte ihm das weiche, zarte Pflaumenhändchen auf den Mund und wisperte ihm errötend zu, daß sie alles vergeben und vergessen wolle; und jetzt ging es von neuem los: da wollte er erstens ein kleines Küßchen zum Zeichen der Vergebung, dann den größeren Versöhnungskuß, dann einen langen dito, daß sie ihm nimmer bös sei, dann einen noch längeren, daß sie ganz gewiß nimmer zürne, dann den ganz ellenlangen zur Erlaubnis, daß er morgen zum Papa gehe und um sie anhalte.

„Aber Kinder, es wird spät“, sprach endlich schon zum drittenmal der alte Herr und tippte Ida auf das Ärmchen, das den reuevollen Geliebten umschlungen hielt, daß sie erschrocken und über und über bepurpurt aufsprang und nicht wußte, wohin sie sehen sollte, denn an diesen Zeugen hatte sie in ihrer Seligkeit gar nicht mehr gedacht. – „Kinder, es wird spät, und die Bilder könnten alle schon zehnmal gezeigt sein; wir müssen hinunter zur Gesellschaft.“

„Nur ich nicht“, bat Martiniz, „mir graut, vom Himmel, in dem ich war, herabzusteigen in einen nüchternen, irdischen Thee.“

Es wurde ihm zugestanden, aber unter der Bedingung, daß er morgen recht bald kommen solle. Ladenstein versprach, ihn selbst hinüber zu spedieren, und trieb immer wieder zum Aufbruch. Nun, so unbarmherzig konnte er doch nicht sein, den allereinzigen Gutenachtkuß mußte er gestatten. Er wurde in zwölf kleine Portionen verteilt und nach alter Vorschrift eingegeben, und jetzt endlich trennte man sich.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 190–191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_098.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)