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daß die stärkste, glühendste Liebe zugleich die schwächste und empfindlichste ist!

Jetzt kam auch der Rittmeister, der mit Empfehlungen an den Präsidenten reichlich versehen war; der Graf bebte zurück vor ihm. Dieses gierige Auge, dieses höhnische Lächeln, diese falsche, schlaue, lauernde Miene, so ganz ohne höhere Bedeutung, ohne edlere Züge, diesen Menschen konnte Ida lieben. Er hätte jedem unter die Nase gelacht, der ihm so etwas vor zwei Tagen, als er noch an die Engelsunschuld des lieben Mädchens glaubte, hätte weismachen wollen; er hätte jeden einen Schurken geheißen, der dieses heilige, keusche Geschöpf mit diesem Mann, in dessen Gesicht schon alle Leidenschaften gewühlt hatten, nur im leisesten Verdacht gehabt hätte; – jetzt mußte er ja selbst daran glauben. Wie ein Kind ließ er sich von der Aarstein leiten, sie zog ihn zu sich nieder, sie spielte die Verwunderte, den Rittmeister hier zu sehen, sie ließ manche giftige Bemerkung schlüpfen – er hörte nichts, er sah nichts, nur ein Gedanke beschäftigte ihn, er wollte recht haarscharf achtgeben, wenn sie käme, wie sie sich gegen Sporeneck benehmen würde. Die Thüre ging auf, sie kam; an der Hand des Vaters ging ihr der Geliebte entgegen, er sah, wie sie ihr Entzücken unterdrückte, wie Blässe und Röte auf ihrem Gesicht wechselten, wie sie ganz versunken in Liebe dem Rittmeister zuhörte, und wie glühende Dolche fuhr die bitterste Eifersucht durch sein Herz: – „Sehen Sie nur hin, Graf“, flüsterte ihm die Aarstein ins Ohr, „sehen Sie nur, wie glücklich die Leutchen dort sind! Das ist ein Erzählen, das ist eine Wonne, daß man einander nach ein paar Wochen wieder hat; daß sie sich nicht auf der Stelle abherzen und küssen, ist alles!“

Dem Grafen wurde grün und gelb vor den Augen. – Jetzt nahte Ida, der Gesellschaft am Theetisch ihr Kompliment zu machen; die Röte des Unmuts und der Verlegenheit lag noch auf dem Gesichtchen und gab ihm einen so eigenen Reiz, daß der Graf nur um so tiefer fühlte, wie schrecklich sich hier die Natur vergriffen und um ein so falsches, zweideutiges Herz eine so herrliche Gestalt gezogen, warum sie gerade ihr, die es so gar nicht verdiente, diese sanften Taubenaugen, dieses holde Grübchen in [157] den Wangen, dieses bezaubernde, huldvolle Lächeln gegeben. Sie verneigte sich gegen die Gesellschaft, die Gräfin drohte ihr lächelnd mit dem Finger, sie errötete von neuem; sie mußte noch die Zuckerdose herbeiholen, sie hätte einen viel näheren Weg gehabt, aber sie machte einen Umweg an Martiniz vorüber, er wagte nur einen Viertelsseitenblick – auf ihn war ihr strahlendes Auge gerichtet, ihm lächelte sie, ihm flüsterte sie im Vorbeigehen kaum hörbar zu: „Guten Abend, Freund! warum so ernst und düster?“

Er fühlte den süßen Hauch an seiner Wange, ein solcher Gruß hätte ihn sonst bis in den dritten Himmel erhoben, ein solches Zauberwort hätte sonst alle Wolken von seiner Stirne gebannt und die traurigsten Falten geebnet. Heute – er blieb starr und stumm; nein, eine solche Erz-General-Armee-Kokette mußte es ja auf dem weiten Erdenrund nicht geben! Ist fünf Minuten außer sich, weil sie den alten Liebhaber wieder sieht, und um es doch mit dem neuen nicht zu verderben, flüsterte sie ihm – Nein! jetzt sprudelte das Maß ihrer Schuld über. Der reine, wahrheitsliebende Jüngling konnte ihr verzeihen, daß sie einem so zweideutigen Menschen, wie dieser Sporeneck offenbar sein mußte, ihr Herz schenkte, er konnte ihr verzeihen, obgleich es ihm das Herz brechen wollte, daß sie mit ihm ein so grundfalsches Spiel gespielt hatte, er konnte es der schwachen weiblichen Natur beimessen, daß sie sich, als der alte Liebhaber nahte, so ungeheure Blößen gab, er konnte dies alles verzeihen, daß sie aber auch jetzt noch ihr Spiel fortspielen wollte, daß sie Zweien auf einmal gehören wollte, nein, das ging über seine Begriffe, er mußte, seine Natur wollte sich dagegen sträuben, wie sie wollte, es war ihm, als müsse er sie verachten. Aber sie hatte recht, obgleich in einem andern Sinn; seine Ehre forderte es, daß er nicht da saß wie ein armer Sünder, über welchen der Stab gebrochen wurde; wenn auch besiegt, durfte er nicht traurig aussehen; er wollte, er mußte lustig sein, und sollte sein Herz dabei aus allen Wunden bluten.

Der Hohn gegen die ganze Welt, der in der Brust des Tiefgekränkten aufstieg, gab ihm Kraft dazu; eine Lustigkeit bemächtigte sich seiner, die er seit Jahren nicht gekannt hatte; er riß das

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 156–157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_081.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)