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heilig das Gastrecht ihrem Vater war, sie wollte ihn schonen. – So hing sie ihren Gedanken nach und bemerkte nicht, wie der Rittmeister schon seit einigen Minuten neben ihr stand und an sie hin sprach; jetzt kam sie wieder zu sich – was mußte nur der Graf denken, wenn sie so lange bei dem Menschen stand, mit welchem sie die Aarstein bei ihm so verdächtig gemacht hatte; ihre Augen suchten den Geliebten – er saß neben der Gräfin, traulich hatte sie ihre Hand auf die seine gelegt, unverwandt sahen beide nach ihr und dem Rittmeister herüber – die Gräfin mit höhnischer Schadenfreude, mit triumphierendem Blick, der Graf starr und finster, als sehe er etwas, das er gar nicht für möglich gehalten hätte.

Und so war es ihm auch; noch waren immer Zweifel in ihm aufgestiegen, ob denn auch wirklich alles so sei, wie die Aarstein gesagt hatte, wie sein Mißtrauen ihm zuflüsterte; zwar das Hiersein des Rittmeisters – doch er konnte ja auch in Geschäften an das hiesige Regiment geschickt worden sein; dann die Zumutung, ihm ein Zimmer Ida gegenüber abzutreten; nun ja, das war allerdings stark, und der böse Geist wollte ihm zuflüstern, daß dies schon sehr viel beweise. Aber sein besserer Sinn siegte doch wieder; das alles bewies ja nur höchstens, daß der Rittmeister in Ida verliebt sei, von ihrer Seite hatte er ja keinen Beweis gesehen. Aber recht Achtung wollte er geben auf Ida, das war sein Entschluß gewesen, als er durch die hell erleuchtete Enfilade[1] von Präsidents Zimmern ging.

Er war heute einer der ersten und in den hohen weiten Zimmern beinahe niemand, den er näher kannte, oder mit welchem er in ein Gespräch sich hätte einlassen mögen; daher ging er allein und in tiefen Gedanken durch die Zimmer. Da tippte es ihm leise auf die Schultern; wenn das Ida – dachte er; er sah sich freundlich um – es war die Gräfin; sie verwickelte ihn bald in ein Gespräch, aus welchem er sich nicht so bald herauswirren konnte; das fatalste war, daß er dem Redegang der Gräfin Plapperinsky immer folgen mußte, um nicht zerstreut zu erscheinen, und doch ging ihm immer der Rittmeister und sein Logis im Kopf herum.

[155] „Nein, aber sagen Sie selbst, Graf“, fuhr sie fort, nachdem sie in einer Pause wieder Altem geschöpft hatte, „sagen Sie selbst, kann man artiger und aufmerksamer für seine Gäste sein als Ida? Denken Sie sich, meine Coffres und Vachen[2] waren schon in den obern Stock gebracht worden, es wohnt sich dort ganz hübsch, zwar sind die Zimmer nicht so elegant eingerichtet wie hier unten, doch Sie wissen selbst, auf Reisen macht man keine so großen Ansprüche, besonders wenn man so schnell und unangemeldet kommt wie ich; ich war also schon ganz zufrieden in meinem Sinn und ließ auspacken; da kommt das gute, liebe Engelskind, denken Sie sich, und ruht nicht eher, bis ich von ihrem schönen Boudoir, Schlafzimmerchen und allem hier unten Besitz nehme, und sie selbst zieht in ihrem Edelmut hinauf in den obern Stock. Nein, sagen Sie selbst, kann man die Gastfreundschaft weiter treiben als die gute Ida?“

„Sehr viel, sehr viel!“ preßte Emil heraus, es war ihm, als schnürte ihm etwas die Kehle zusammen, als ob eine eiskalte Hand ihm in die Brust führe und das warme, liebeglühende, treue Herz umdrehte und schmerzlich hin und her reiße. Jetzt war es ja sonnenklar, entschieden war jetzt die fürchterliche Verstellungskunst dieser – – Dirne, die so schändlich mit ihm gespielt hatte; daß zwischen dem Logis des Rittmeisters und ihrer ungemeinen Gefälligkeit gegen die Gräfin ein geheimer Zusammenhang stattfand, konnte ein Blinder sehen.

Er lachte, es war das Lachen der Verzweiflung, und die ganze Hölle lachte aus ihm heraus. „Wahrhaftig, ein großes Opfer“, sagte er mit schrecklicher Lustigkeit zu der Gräfin, „eine ungeheure Großmut, die ganz allein aus der allerausgedehntesten Nächstenliebe und Gastfreundschaft hervorgeht!“ Die Gräfin Aarstein-Satanas wußte wohl, daß sie sein Herz mit glühenden Zangen zwickte, wußte auch nur gar zu gut, woher die Logisveränderung kam, aber so vollständig, so schnell hatte sie sich ihren Sieg, ihren höllischen Triumph nicht vorgestellt.

Sie hatte ja nie so recht geliebt, sie wußte daher auch nicht,


  1. Eine Reihe von Zimmern in einer Linie, so daß man bei geöffneten Mittelthüren durch alle Zimmer sehen kann.
  2. Aufschnallkisten auf Reisewagen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 154–155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_080.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)