Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 074.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und Scheelsucht gestachelt, so ganz den wahren Lebenszweck aus dem Auge verlieren, glücklich und brüderlich untereinander zu wohnen! So denke ich und viele Tausende mit mir über jene bösen Menschen in den gesellschaftlichen Zirkeln und in der Welt überhaupt, so denken wir und lachen, denn: „das Spiel des Lebens sieht sich heiter an, wenn man ein sicheres Glück im Herzen trägt, und froher kehr’ ich, wenn ich es gemustert, zu meinem schönern Eigentum zurück“[1].

So dachte auch Ida, als sie an der Hand der Gräfin die Treppe hinanstieg; ein tröstender Gedanke lag recht hell in ihrer Seele, sie verglich ihren innern Wert mit dem ihres Gastes und dachte, wenn Martiniz mich liebte, wie ich ihn liebe, so wird er diese Frau verachten, und wenn – ach, sie durfte den Gedanken nicht recht ausdenken, ohne daß ihr das Wasser in die Augen trat – nun, wenn er an sie verloren geht, so habe ich wenig verloren.

Es gab einen sonderbaren, aber schönen Anblick, wenn man die beiden Damen so nebeneinander hingehen sah. Gräfin Aarstein, eine kolossale Figur – sie hätte ohne Anstand in jedem Garderegiment dienen können – voll, üppig gebaut, in ihren Bewegungen lag etwas Imposantes, Majestätisches, Gebietendes, in ihren Mienen eine Hoheit, die an Übermut grenzte. Ihre dunklen Augen hatten das holde, mädchenhafte Niederschlagen schon lange verlernt und rollten mit einem unsteten Feuer umher, als suchten sie lüstern einen Gegenstand der Begierde, oder als musterten sie alles umher, ob auch die gehörige Ehrfurcht gegen einen Sprößling eines so hohen Hauses bewiesen werde. Ihr Gang war etwas schwerfällig, weil die korpulente Figur für die in die feinsten Pariser Atlasschuhe eingepreßten Füße etwas zu schwer war.

Neben ihr die leichte, schlanke, sylphidenähnliche[WS 1] Gestalt Idas; nein dieser Kontrast! Sie hielt sich zwar kerzengerade wie eine Tanne, aber doch war das holde Lockenköpfchen ein wenig vorwärts gesenkt, das sanfte Auge, oft niedergeschlagen in Demut, zeigte dennoch, wenn sie es aufschlug, so glänzenden Mut, so feurige Lust und Liebe, so gebietenden Ernst, daß es durch die sanfte Beredsamkeit überzeugender gebot als das Rollauge der gebietenden [143] Gräfin. Und um wieviel anziehender war das Schelmengrübchen-Lächeln des süßen Mädchens als das schrankenlose Lachen und Gurren der Gräfin, die durch ihre rauhe, tiefe Stimme jedes Ohr verletzte. So schwebte Ida neben der Gräfin hin, so wie Juno und Hebe traten sie in das Zimmer.

Martiniz sah finster durch die Scheiben auf den Wagen hinab, der ihn so unbarmherzig aus dem süßesten Moment seines Lebens herausgerasselt hatte. Er verwünschte den Gast, der gerade jetzt kommen mußte, wo er endlich seinem Herzen Luft gemacht, wo er dem Mädchen, das er liebte, das er anbetete, seine Gefühle gestanden hatte, wo er Gegenliebe, süße, verschämte Gegenliebe in ihren sanften Augen las, wo, wie von Engeln des Himmels gesungene, „mein Emil“ von ihren Lippen tönte, wo er, das Engelskind im Arm, die Seligkeit erwiderter Liebe in der Brust, Himmel und Erde vergaß und auf diese würzigen Purpurlippen, auf die bräutlich errötenden Wangen den ersten, seligen Ku–



Die Gräfin agiert.

Die Flügelthüren flogen auf, und Ida, hocherrötend beim Anblick des Geliebten, führte die Gräfin herein. Sie zitterte, von so vielen gegeneinander kämpfenden Empfindungen bestürmt, die Stimme wollte ihr beinahe versagen, als sie den Grafen Martiniz der Gräfin Aarstein vorstellte. Sie sah die Erz-General-Kokette erröten, sie sah, wie sie den bildschönen Mann mit ihren Feuerrädchen beinahe zu versengen drohte; es zuckte ihr ganz eisig in das liebende, ängstliche Herzchen hinein, als die Gräfin sich in einer nachlässigen Stellung auf den Sofa warf, ihr zurief, sie möchte sich doch gar nicht genieren und ihre Arrangements treffen, die ein so plötzlicher Überfall wie der ihrige immer notwendig macht, sie möchte sich doch durchaus nicht genieren, der Graf werde schon die Gnade haben, sie zu unterhalten.

„Da sei Gott gnädig“, flüsterte Ida in sich hinein, indem es ihr fröstelnd und doch wieder siedheiß durch alle Glieder ging, „wenn die so fortmacht, so müssen wir ja alle samt und sonders, den Grafen mit eingeschlossen, zu ihren Füßen knien.“


  1. Vgl. Schillers „Piccolomini“, 3. Aufzug, 4. Auftritt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Sylphiden sind weibliche Luftgeister mit einem feinen, filigranen Körperbau. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts bezeichnete man auch ein zartes und anmutiges Mädchen als Sylphide (nach dem Ballett La Sylphide – vgl. Wikipedia).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 142–143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_074.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)