Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 059.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

herauslangen sollen! Es ist ja nicht die Rede von einem solchen leeren Schniffel und Musje Unausstehlich, wie sie jetzt zu Dutzenden herumschlendern; nein, um solche wäre es nicht der Mühe wert, sich die Hand naß zu machen, und wenn sie im Sumpf bis unter die Nase stäken und nicht mehr um Hülfe schreien, sondern nur ein wenig näseln und rüsseln könnten. Aber nein, da ist der Ausbund von Männerschönheit, der Mann mit dem interessanten, feurigen Auge, mit der zarten Blässe, welche die Gemüter so anzieht, mit dem feinen Bärtchen über den Lippen, das ein ganz klein wenig sticht, wenn er den würzigen Mund wölbt zum Ku–“

„Nein, es ist zu arg!“ maulte Idchen und that so ernst und reputierlich wie eine Kartäuserin, und doch mußte das lose Ding die Kniee zusammenpressen, um nicht zu lachen, „zu arg, nicht einmal ein Fünkchen Mitleiden darf man zeigen, ohne daß die böse Welt, den Herrn Hofrat an der Spitze, gleich darüber kritisiert, ob es einem schönen Herrn gegolten oder nicht.“

„Nun, nun“, lachte der Hofrat noch stärker als zuvor, „es kommt immer besser; Sie machen ja, weiß Gott, ein Gesichtchen, als wollten Sie mir nichts dir nichts der ganzen Welt ein Pereat[WS 1] bringen, aber im Hintergrunde lauert doch der Schelm, denn mein Idchen hat es faustdick hinter den Ohren. Ich mache gewiß nicht, wie Fräulein von Sorben und Frau von Schulderoff, die große Stadtklatsche, aus jedem Maulwurfshaufen einen Himelaja, aber – wer schaut denn immer hinter dem Vorhang hinüber in den Mond, um den Mann im Mond, wie ihn die bösen Stadtkinder heißen, herauszuäugeln? Aber freilich, die jungen Damen machen jetzt gerne astronomische Versuche, sehen nach den schönen Sternen, welche das schönste Feuer haben, da muß man ja doch auch in den Mond sehen; aber Fräulein Ida wird nicht, wie jener scharfsichtige Astronom[WS 2], Städte, Festungen, ganze Wälle und Verschanzungen darin erschauen, sondern höchstens die Besatzung selbst, den Ge–“

Idchen hielt es nicht mehr aus; sie wurde röter als ein Purpurröschen, sie preßte dem Hofrat die weiche Flaumenhand auf den Mund, daß ihm Hören und Sehen verging, und schmälte ihn [113] jetzt so tüchtig aus, wie er früher sie selbst geschmält hatte, als sie noch ein ganz kleines, unreifes Ding war. „Wie oft habe ich hören müssen“, eiferte sie, „man soll die schönen Püppchen nicht beschmutzen, und Sie, böser Hochverräter, machen ja Ihr armes Püppchen Ida ganz schwarz; wie oft haben Sie gesagt, man solle nicht alles untereinander werfen, sondern jedes Ding ordentlich an seinem Platz lassen, wo es steht, und Sie nehmen da und dort etwas, rudeln und nudeln es recht bunt durcheinander wie ein Apotheker und malen die Leute damit an. Ist das auch recht? Kann das Ihr sonst so geordnetes Oberbuchhaltergewissen vertragen?“

Der arme Hofrat bat nur durch die Augen um Pardon, denn der Mund war ihm so verpetschiert[WS 3], daß er nicht einmal ein Ach! oder Au! hervorgurgeln konnte. Endlich gab sie Pardon, der Hofrat schöpfte tief Atem und sagte endlich: „Das verdient Strafe, und die einzige Strafe sei, daß Sie auf der Stelle über und über rot werden!“ Ida behauptete zwar, das lasse sich nicht nur so befehlen, aber es half nichts, der Hofrat begann:

„So wissen Sie denn, daß der Graf seit einem Jahr Europa durchfliegt, durchrennt, an keinem Orte länger als einen, höchstens zwei Tage verweilt, daß er auch hier eigentlich nur einen Rasttag halten wollte; es sind Wochen daraus geworden, ich gebe Ihnen mein Wort, wegen Ihnen allein ist er hier geblieben.“ Der Hofrat hatte seine Strafe richtig beurteilt, sie schrak zusammen, als er es aussprach.

„Wegen mir wäre er hier geblieben? Meinetwill–“ sie konnte nicht weiter, ein holdes Lächeln geschmeichelter Selbstzufriedenheit schwebte um die roten, frischen Lippen, der zarte Inkarnat[WS 4] ward überall zur Flamme, und wie von alters her das weibliche Geschlecht ein tiefes Rätsel für den Forscher war – war es Freude, war es Schmerz? – das überraschte Herzchen machte sich in heißen Thränen Luft. Das hatte der Hofrat nicht gewollt; er wollte wieder von neuem anfangen, wollte die lindernden Mittel der Fröhlichkeit und des Scherzes auf die Wunde legen, die er so ganz ohne Absicht geschlagen hatte, wollte das Mädchen aufheitern, zerstreuen, aber war es denn möglich, war

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Pereat! (lat.) sie gehe unter, pereat mundus, mag (auch) die Welt untergehen; im Gegensatz zum Vivat!
  2. Der Astronom und Naturforscher Franz von Paula Gruithuisen (1774–1852) hatte 1824 mit seinem Aufsatz „Entdeckung vieler deutlicher Spuren der Mondbewohner“ großes Aufsehen erregt.
  3. Verschlossen, versiegelt.
  4. Fleischton, Hautfarbe; Begriff aus der Malerei (Wikipedia).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 112–113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_059.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)