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Der junge Herr vernahm dies alles mit großer Fassung, als man ihm aber einen Brief seiner Schwester brachte, da kam er außer sich, so daß wir fürchteten, er komme wieder vom Verstand.

Ich vermute, der Italiener war doch nicht so schuldig, als wir alle glaubten, denn der Graf ließ sich auf sein Grab führen, weinte dort lange und rief mit flehender Stimme in die Erde hinein um Vergebung. Als ich in der nächsten Nacht neben dem Zimmer des Herrn zum erstenmal seit langer Zeit ruhig schlief, weckte mich ein schreckliches Geschrei – es kam aus seinem Zimmer – ich eilte hinein und sah ihn in Schrecken und Wahnsinn, denn er glaubte, der Italiener sei in seinem blutigen Hemde zu ihm gekommen, habe die Binden abgerissen, sie ihm an den Kopf geworfen und sein Maledetto diabolo dazu geschrien. Mit dem Schlag ein Uhr hörte auch sein Wahnsinn auf. Aber seitdem kehrte er jede Nacht wieder. Er bekam wegen des Duells Begnadigung, mußte aber auf einige Zeit sich außer Landes begeben.

Diese Weisung kam erwünscht, denn die Ärzte rieten zu Zerstreuung durch eine Reise. Ach! wir fahren jetzt seit einem Jahr durch ganz Europa, und dennoch kehrt sein Zustand jede Nacht wieder. Ich glaube nicht an Gespenster, Herr, aber oft ist es mir doch auch, als habe mein Herr recht und der selige Herr Antonio folge uns auf den Fersen. In Rom, wohin wir auf unserer Irrfahrt kamen, entwischte er mir in seinem Anfall und lief in eine Kirche; wie es nun sein mag, von da an behauptet er, der Spuk könne nicht zu ihm herein, wenn er am Altar sitze.

Wer war froher als ich über dieses Auskunftsmittel! Aber auch nicht jede Kirche war ihm recht, bald ist sie zu groß, bald zu klein, wie es so mit kranken Leuten geht. Hier geht es nun unbegreiflich gut. Die Kirche behagt ihm wie beinahe keine, und seit acht oder zehn Tagen hat er gar nicht mehr gewütet, sondern nur geweint.“

Der alte Diener hatte, oft unterbrochen von dem Hofrat, seine Erzählung beendigt; Berner konnte kaum seine Rührung zurückhalten; es wollte ihm das Herz abdrücken, daß ein Mensch, so schön, mit allen Gaben des Glückes so reichlich versehen, mit einem Schlage in so namenloses Unglück stürzen sollte. Er war voll [105] Eifer zu helfen, aber welchen Weg konnte man einschlagen, um dem Grafen seinen schrecklichen Wahn zu benehmen? Waren nicht gewiß alle Mittel schon versucht worden, ihn zu heilen? Er fragte den Alten, wozu er ihm behülflich sein könnte bei dieser Sache.

Der alte Brktzwisl lächelte geheimnisvoll vor sich hin und begann dann: „Wenn ich recht gesehen habe, so ist mein Herr auf dem besten Wege zur Heilung und der Herr Hofrat können als Arzt dabei dienen. Vor allem muß ich um Verzeihung bitten, wenn ich etwa nicht recht gesehen hätte; einem alten Diener, der nur für das Wohl seines Herren besorgt ist, kann man ja schon etwas zu gut halten. Der Herr Onkel des Grafen, ein steinreicher Mann, der jetzt auch das Vermögen des Grafen verwaltet, hatte mich mit reichlichen Mitteln versehen, daß ich jeden berühmten Arzt um Rat fragen konnte. Überall, wohin wir kamen und uns auch nur zwei Tage aufhielten, befragte ich gleich die Ärzte; die einen wollten dies, die andern jenes, was man schon oft probiert hatte, die meisten aber rieten Reisen und Zerstreuung.

In einer kleinen deutschen Stadt, wo ich gar keinen Arzt gesucht hätte, traf ich durch Zufall einen in unserm Wirtshaus; es war ein kleiner, alter Mann mit einem klugen Gesicht, das mir sogleich Vertrauen zu ihm einflößte. Er gab nicht gleich eine Antwort, sondern betrachtete den Kranken in seinem Zustand, aber von ihm ungesehen. Den andern Tag sagte er zu mir: ‚Höre, Alter! dein Herr ist unheilbar, wenn ihn nicht Liebe heilt; und zwar recht innige, warme Liebe zu einem Mädchen, das sie erwidert. Hat ihn erst einmal eine recht gefaßt, so ist es unzweifelhaft, daß sein Wahnsinn sich zerstreut und nach und nach vergeht.‘

Diese Nachricht war mir nun von Anfang ein Donnerschlag, denn ich wußte, wie wenig er sich aus den Frauenzimmern macht; wenn er durch Liebe geheilt werden soll und durch nichts anders, so ist er verloren, dachte ich; denn wo soll er sich verlieben? Er ging an keinen Ort, wo schöne Mädchen waren, in keiner Stadt wollte er über einen oder zwei Tage bleiben; kurz, dieser Rat brachte mich erst recht zur Verzweiflung. Aber dennoch schrieb ich es treulich dem alten Herrn Onkel.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 104–105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_055.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)