Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 048.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

nicht viel anders sein, da sie größer ist. So urteilte die Welt; sie urteilte aber noch weiter; das Mädchen, die Ida, thut jetzt so jüngferlich und so zümpferlich, als wäre sie in der Residenz eine Vestalin[WS 1] geworden, und vorher war sie wild, ausgelassen, trotzig; das müßte ja ein Gott sein, der aus einer solchen Hummel ein reputierliches Mädchen ziehen wollte. Aber in allen Instituten ist man seit neuerer Zeit viel pfiffiger geworden; da sagt man den Mädchen, ihr könnt alles thun, aber haltet Maß und treibet es fein; daher kommt es, daß jetzt lauter Tugendspiegel aus den Instituten kommen. Sonst kamen sie ein wenig affektiert, ein wenig frei nach französischem Schnitt und Ton; jetzt weiß man das ganz anders: sittsam, keusch, ehrbar, alles, was sie sein sollten, sind sie, da fehlt sich’s nicht, vollkommen, wenn man es so von der Seite sieht. Kommt aber so ein Pole, so ein Graf Weißnichtwoher und Baron Nirgendan, so bewahrt man den Schein, und damit holla! So urteilten die Freilinger von dem edelsten, besten Mädchen, das in ihren Mauern war; so urteilten sie, und wie das Böse überall schneller um sich greift als das Gute, so wußte und glaubte schon nach acht Tagen die ganze Stadt, was ein paar Muhmen bei einer Tasse Kaffee ausgeheckt hatten. Auch über den harmlosen Martiniz erging das nämliche Gerücht.

Leute wie die Freilinger können nichts weniger leiden, als wenn Menschen unter ihnen umherwandeln, von denen sie nicht alles vom A bis zum Z wissen, woher und wohin, was sie für Plane haben u. s. w. Kauft einer nicht ein Pferd, oder ein Paar Ochsen, oder ein paar Hufen Landes, so ist er ein unerträglicher Geheimniskrämer, der allein das Vorrecht haben wolle, daß die Leute nicht wissen sollen, was an ihm ist. Dieser Pole vollends versündigte sich auf die impertinenteste Art an Freilingen. Er schien kein Frauenzimmer zu bemerken als Ida; und doch gab es viele, die ihm ihre Aufmerksamkeit da und dort bezeigt hatten; er war reich, gab viel Geld aus, und doch konnte niemand sagen, was er denn eigentlich im Städtchen zu thun habe. Schon sein ernstes, bleiches Gesicht war ihnen wie ein verschlossenes Buch, das sie gar zu gerne durchblättert hätten; das ist ein Bruder Lüderlich, sagten die einen, man sieht es ihm an der Farbe an, ein [91] Mensch ohne ein Fünkchen Lebensart, sonst würde er wenigstens seine Tischnachbarn mit seinen näheren Verhältnissen bekannt machen, würde auch in andere anständige Zirkel kommen als nur zu Präsidents. So urteilten sie von Martiniz, zuckten die Achseln, wenn sie von ihm und seinem Verhältnis zu Ida sprachen; darin waren sie aber alle einverstanden, daß der Präsident von seinen Verhältnissen doch etwas wissen müsse, denn er lächelte so geheimnisvoll, wenn man ihn wegen des Fremden anbohrte.

Alt und jung kannte bald den fremden Grafen, und überall kursierte er unter dem Namen „der Mann im Mond“, denn sein geisterhaft bleiches Gesicht, sein Aufenthalt im Goldenen Mond hatte dem Volkswitz Anlaß zu diesem Spottnamen gegeben, und selbst Ida, als sie es erfuhr, nannte ihn nie anders als den „Mann im Mond“.



Feindliche Minen.

Wie es übrigens zu gehen pflegt, die ärgsten Feinde Idas und des Grafen ließen sich öffentlich am wenigsten über dies Verhältnis aus; Frau von Schulderoff und Fräulein von Sorben fühlten sich bis zum Tod beleidigt; aber sie hielten öffentlich an sich und schwiegen.

Beide hatten sich vorher wenig gesehen, denn sie waren etwas über den Fuß gespannt[WS 2]; der Lieutenant Schulderoff hatte einmal einen ganzen Winter hindurch dem Fräulein die Kour gemacht[WS 3]; das Verhältnis hatte sich aber aufgelöst, man wußte nicht wie? Jetzt, da sie in einem Spital krank waren, jetzt näherten sie sich wieder, und obgleich das Fräulein in ihrem Herzen der Frau von Schulderoff schuld gab, sie habe den Sohn aus ihren Netzen gezogen, so vergaß sie doch einstweilen diese Kränkung, um diese neuere besser zu tragen oder zu rächen. Die Frauen sehen in solchen Sachen feiner und viel weiter als jeder Mann an ihrer Statt; so hatte die Sorben bald weggehabt, daß das Unglück des Lieutenants vor dem Hause des Präsidenten, von dem die ganze Stadt sprach, wohl nicht so zufällig sei, als man es erzählte, sie hatte durch ihre Kundschafter bald weggehabt, daß die Nachtmusik,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Eine jungfräuliche Priesterin der römischen Göttin Vesta (Wikipedia).
  2. Mit jemandem über den Fuß gespannt sein bedeutet, nicht im besten Einvernehmen mit diesem stehen.
  3. Den Hof gemacht.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 90–91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_048.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)