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Selbstgespräch; sie setzte sich im Bettchen auf, sie lauschte; ein süßes, melancholisches Adagio wurde gespielt. Ida hatte selbst etwas weniges klimpern gelernt, sie kannte hinlänglich die Schwierigkeit dieses Instruments, wenn es ohne Begleitung der Stimme oder eines andern Instruments die Gefühle in wohlgerundeten, vollen Sätzen ausdrücken sollte; aber so hatte sie dieses Instrument nie spielen gehört. Es graute ihr vor diesen fließenden Läufen, wenn sie daran dachte, wie schwer sie seien, und diese vollen runden Klänge, diese melodischen Klagen, die den ärmlichen sechs Saiten entlockt wurden! Wer konnte nur in Freilingen so hinreißend, so süß spielen? Sie huschte schnell in die Pantöffelchen, zog die seidene Mantille[WS 1] um und schlich sich ans Fenster; sollte Mart–

Ja, weiß Gott! seine Zimmer waren noch hell erleuchtet, die Gardinen waren herabgelassen, aber deutlich konnte sie den Schatten eines an den Fenstern Auf- und Abwandelnden erspähen. Es war Martiniz; und jetzt gewann sein Spiel erst volle Bedeutung, jetzt verstand sie seine flüsternden Klagen, seine sehnenden Übergänge, die süße Melancholie seiner Moll-Akkorde. Er schwieg, er stand, sie sah deutlich seinen Schatten, er stand ihr gegenüber am Fenster. Ein bedeutungsvolles Vorspiel begann: „O wenn er auch singen könnte, wie köstlich, wie wunderschön wäre es“, dachte Ida, hüllte sich tiefer in ihr Mäntelchen und setzte sich ans Fenster; ihr Herzchen pochte voll Erwartung. – Er sang, eine tiefe, volle, klare Männerstimme trug eines jener polnischen Nationallieder vor, wie sie schon mehrere gehört hatte, und die jedes fühlende Herz durch ihre Innigkeit, durch ihre sanften Klagen so tief ansprechen; er sang, sie verstand kein Silbchen von den polnischen Wörtern, aber dennoch faßte sie den Sinn so gut als irgend eine polnische Schöne; ach, es waren ja die Töne, die man auf der ganzen Erde versteht, die Klagen der Liebe, die sich nach dem geliebten Gegenstande sehnt, die um Erwiderung fleht, die ihren Schmerz in den flüsternden Tönen der Wehmut ausweint. Thränen stürzten dem liebenden Mädchen aus den Augen, sie schlich sich zurück zu ihrem einsamen Lager, Emils Töne begleiteten sie. Die geheimnisvolle Stille der Nacht, das rätselhafte Leiden des interessanten, unglücklichen Mannes, sein [89] Liebe atmender Gesang, der ja ihr allein in der schweigenden Mitternacht galt, dies alles erfüllte sie mit einer nie gekannten Sehnsucht, es war ein unaussprechliches, aber süßes Gefühl der Wehmut und des Glückes. Ja, sie war geliebt; diese liebewarmen Töne wisperten es ihr in die Seele, sie war geliebt, wahr und innig, wie auch sie liebte; sie preßte ihre weichen Händchen auf das lautpochende Herz, auf die entfesselte Brust, wo es siedete und brannte, als habe das dunkle Feuerauge des Geliebten das wallende Blut wie dürren Zunder angezündet. Verschämt, als könne er durch die finstere Nacht, durch ihre dichten Jalousien zu ihr herübersehen, verhüllte sie das pochende Herzchen, zog die Decke bis an den Mund herauf, preßte die Äuglein zu und flüsterte hinüber in die weichen Töne seiner Laute noch ein herzliches: „Schlafwohl!“



Die Freilinger.

Die Leute in Freilingen sind wie überall, es vergingen keine acht Tage, so wußte jedes Kind, daß Präsidents Ida und der reiche Pole ein Paar seien. Die Freilinger ärgerten sich nur darüber, daß man ihnen Sand in die Augen streuen wolle; daß die beiden Leutchen einander vorher schon gekannt hatten, war am Tage; denn wie sollte Martiniz an gleichem Tage mit ihr ankommen, was sollte er überhaupt in dem obskuren Freilingen so lange thun? als weil er Ida liebte, die, Gott weiß durch was für Kunstgriffe, den Goldfisch in ihr Netzchen gelockt hatte. Papa Präsident – nun dem schwefelte man etwas Blaues vor, daß der Herr Graf doch mit Ehren ins Haus kommen konnte; was da beim Thee vorging, das wußte freilich jedermann, weil man hie und da so ein paar Respektspersonen dazu einlud; aber was vormittags im Zimmer, nachmittags im Garten, abends nach dem Thee vorging, das wußte niemand; beten werden sie nicht miteinander, sagten die Leute; da spricht man wohl immer von dem Hofrat Berner, der sei ja hinten und vorn dabei, daß ja nichts Unrechtes geschehen könne; aber man wußte ja von früher her, wie er dem Mädchen alle losen Streiche durch die Finger sah, jetzt wird es

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Ein leichter Frauenmantel aus Seide.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 88–89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_047.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)