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fröhlichsten Humors wurde. „O du Glückliche“, sagte sie boshaft, „wer auch so im Flug Eroberungen machen könnte!“ – „Es gehört nichts dazu, mein Kind, als Routine, nichts als eine gewisse Gewandtheit, die man freilich so schnell nicht erlernt; die Gewohnheit, der Geist muß sie geben. Du bist hübsch, Kousinchen, du bist gut gewachsen, an Anstand, an schönen gesellschaftlichen Formen fehlt es dir auch nicht; ehe drei Jährchen ins Land kommen, angelst du Grafen, als hättest du von Jugend auf gefischt.“

Ida brach, weil sie das Lachen nicht mehr halten konnte, in lauten Jubel aus. „Das wäre schön, das wäre herrlich, Grafen fangen!“ rief sie, nahm ihre naive Lehrerin unter dem Arm und flog mit ihr im rasenden Schnellwalzer um den Theetisch.

Von Anfang ließ sich die Sorben diese rasche Bewegung gefallen, obgleich ihr, da sie bei ungemeiner Korpulenz bis zum Ersticken geschnürt war, der Walzer nicht sehr behagte, aber sie wußte, wenn man nur erst aufhöre zu tanzen, so werde man gleich unter das alte Eisen gezählt, und gab sich also alle Mühe, leicht zu tanzen. Als aber das Teufelskind, dem der Schelm aus Augen, Mund und Wangen hervorsah, immer rasender walzte, immer rascher im Wirbel tollte, da stöhnte sie: „Ich kann nicht mehr – oh –hö–re auf!“ Aber Idchen riß sie noch einmal herum und ließ sie dann, weil sie das Geräusch der Kommenden hörte, atemlos und bis zum Tod gepreßt vor der Flügelthüre stehen, die in diesem Augenblick von zwei Lakaien aufgerissen wurde.



Der Thee.

Martiniz und der Hofrat traten ein. War es Emils hoher, kräftiger Tannenwuchs, war es die ungezwungene Grazie seiner würdigen Haltung, war es das Geistvolle seines sprechenden Auges, war es der wehmütige Ernst, der auf diesem schönen Gesichte lag und ihm einen so unendlichen Liebreiz gab, waren die Träume der Ballnacht wieder aufgestiegen, um süße Erinnerungen zu flüstern? – Ida stand versteinert, als sie den Grafen erblickte. Ach, sie hätte viel darum gegeben, in diesem Augenblicke [79] nicht die Hausfrau machen zu dürfen; sie hätte ganz von ferne ihn betrachten und selig sein wollen. Hofrat Berner stellte ihn mit einem vielsagenden Blicke seiner Ida vor; aber diese hätte sich in diesem wichtigen Moment selbst Schläge geben mögen, so links, meinte sie, so albern hatte sie sich noch nie benommen. Was mußte er nur von ihr denken; war sie doch gerade aus der Residenz gekommen, wo ihre Erziehung nach allen Regeln vollendet worden war, hatte sich in allen Zirkeln, in den feinsten Salons ohne Ängstlichkeit bewegt, und hier stand sie errötend, mit niedergeschlagenen Augen und stammelte recht kleinstädtisch „von der Ehre, die Seine Exzellenz ihrem Hause erzeige“.

Aber bei dem feinfühlenden Manne, der schon früher ihren Anstand, ihre Würde, ihre Erhabenheit über jedes Verlegenwerden bewundert hatte, erhöhte gerade diese süße Verlegenheit den Wert des Mädchens. Mit unendlicher Gewandtheit wußte er sie aus der peinlichen Verlegenheit dieser ersten Minuten herauszuführen, in wenigen Augenblicken war sie wieder das frohe, unbefangen scheinende Mädchen wie früher und konnte die Albernheit ihrer Kousine beobachten. Diese war, als die Flügelthüre aufging, dagestanden wie Frau von Loth bei Sodum, als sie in Steinsalz verwandelt wurde, starr, steif, atemlos, nur die beiden ungeheuern Fleischmassen ihres aufgepreßten Busens arbeiteten, von dem rasenden Schnellwalzer in Aufruhr gebracht, noch immer fort. Als ihr Martiniz vorgestellt wurde, war sie noch nicht zu Atem gekommen, sie ließ also nur einen Liebesblick auf ihn hinüberspazieren und verneigte sich hin und wieder. Als sie aber wieder Atem geschöpft hatte, fing sie in ihrer naivsten Manier an zu kichern und erzählte, daß sie für ihr Leben gern tanze, und daß es ihr und dem kleinen Herzenskousinchen unwiderstehlich in die Füße gekommen sei. Sie plapperte fort und fort, aber leider schien ihr nur der Hofrat zuzuhören, denn Martiniz, der neben Ida Platz genommen hatte, war mit dieser schon in so tiefem Gespräch, daß er auf das Geschnatter der Dicken nicht hören konnte. Sich so vernachlässigt zu sehen, konnte das fünfundzwanzigjährige Kind nicht dulden, sie erhob also ihre Stimme noch lauter und wurde sogar witzig; aber der Graf, dachte sie,

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 78–79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_042.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)