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brachte unter Zittern und Zagen, es möchte zu eng sitzen, sein Kunstwerk; aber Gott weiß, wie es zugeht, sie war zwar über seine breite Heldenbrust gerade recht, aber hier in den Weichen viel zu weit; und dabei ist an kein Schnüren zu denken, mein Herr verachtet diese Kunststücke. Der Schneider machte einen Sprung in die Höhe vor Verwunderung, er konnte es rein nicht begreifen; die andern Herren beim Regiment ließen sich Korsette machen mit Fischbein, schnürten sich zusammen, daß man hätte glauben sollen, der Herzbündel wolle ihnen zerspringen; und dennoch rissen die Knöpfe alle drei Tage, wenn sie nur ein wenig mehr als zu viel gegessen hatten – mein Herr war immer der fixeste, gedrechselt wie eine Puppe und alles ohne ein Lot Fischbein, so wahr ich lebe.“

„Es ist unbegreiflich, was es für herrliche Leute unter den Militärs gibt“, unterbrach ihn die Wirtin, andächtig staunend.

„Und dann, Madame, lassen Sie ihn erst noch die Galabeinkleider da anlegen, den Federhut aufsetzen, seine goldenen Sporen mit den silbernen Rädchen an den feinen Absätzchen, denn Füßchen hat er trotz einer Dame; lassen Sie mich ihm den St. Wladimir[WS 1] in Diamanten auf die Brust hängen, den Ehrensäbel, den sein Herr Vater vom Kaiser bekommen, und den er aus hoher Gnade als Andenken tragen darf, um den Leib schnallen; Frauchen, wenn ich ein Mädchen wäre, ich flöge ihm an den Hals und küßte ihm die schwarzen Locken aus der schönen Stirne. Und dabei war er so fröhlich, die Wangen so rot, das Auge so freudig blitzend, und alles hieß ihn nur den schönen, lustigen Martiniz. Das alles ist jetzt vorbei“, setzte der treue Brktzwisl seufzend hinzu, indem er die Staatsuniform der Wirtin abnahm und in die Kommode legte, „da liegt das schöne Kleid, nach dem zehntausend die Finger leckten, so liegt es seit dreiviertel Jahren, und wie lange wird es noch so liegen!“

„Aber sagen Sie doch, liebster Herr Wiesel, sein Vorderteil kann ich nicht aussprechen, sagen Sie doch, warum dies alles, warum sieht sein Herr so bleich und traurig? Warum kleidet er sich wie ein junger Kandidat, da er unsere ganze Garnison in den Boden glänzen könnte? Warum denn?“

[61] Der Alte sah sie mit einem grimmigen Blick an, als wollte er über diesen Punkt nicht gefragt sein. Aber die junge, reinliche, appetitliche Wirtin mochte doch dem rauhen Mann zu zart für eine derbe Antwort vorkommen. „Bassa manelka!“[1] sagte er unfreundlich, „warum? weil – ja sehen Sie, Madame, weil, weil wir, richtig, weil wir als Zivil reisen“, und nach diesem war auch kein Sterbenswörtchen mehr aus ihm herauszubringen.



Der polnische Gardist.

Dies alles hatte die Wirtin dem Hofrat erzählt, der sich in dem schönen Speisesaal wohl eine Stunde früher als die übrigen Gäste zur Abendtafel eingefunden hatte, um so allerlei Nachrichten, die ihm dienen konnten, einzuziehen. Er hatte sie ganz aussprechen lassen und nur hie und da seinen Graukopf ein wenig geschüttelt; als sie zu Ende war, dankte er für die Nachrichten. „Und ihn selbst, Ihren wunderlichen Gast, haben Sie noch nicht gesprochen oder beobachtet? Ich kenne Ihren Scharfblick, Sie wissen nach der ersten Stunde gleich, was an diesem oder jenem ist, und auch über Leben und Treiben fangen Sie hie und da ein Wörtchen weg, aus dem sich viel schließen läßt.“

Die Geschmeichelte lächelte und sprach: „Es ist wahr, ich betrachte meine Gäste gern, und wenn man so seine acht oder zehn Jährchen auf einer Wirtschaft ist, kennt man die Leute bald von außen und innen. Aber aus dem da droben in der Bel-Etage werde ein anderer klug. Mein Mann, der sich sonst auch nicht übel auf Gesichter versteht, sagt: ‚Wenn es nicht ein Polack wäre, so müßte er mir ein Engländer sein, der den Spleen hat.‘ Aber nein, wir hatten auch schon Engländer, die den Spleen[WS 2] faustdick hatten, tage-, wochenlang bei uns, aber die sehen griesgrämig, unzufrieden in die Welt hinein; aber die Frauen, nehmen Sie nicht übel, Herr Hofrat, haben darin einen feinern Takt als mancher Professor.

Der Graf sieht nicht spleenigt und griesgrämig aus, nein,


  1. Entstelltes Ungarisch; ein äußerst derber Fluch.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Ein Orden.
  2. Schlechte Laune, Ärger, Verdruss.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 60–61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_033.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)