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schienen kaum den türkischen Fußteppich zu berühren, der einfache, blendendweiße Battist-Überrock verriet in seinem leichten Faltenwurf das Ebenmaß dieses herrlichen Gliederbaues, diese frische, jugendliche Kräftigkeit! Er versank in Gedanken über das holde Geschöpf, das allen Lockungen der Residenz Trotz geboten, sich das jungfräuliche Herz frei bewahrt von Liebe, und jetzt, als sie in ihre kleine Vaterstadt zurückkommt, am ersten Abend einen Mann findet, den sie – nein! sie konnte es nicht leugnen, es war ja offenbar, daß sie ihm mit der hohen Glut der ersten, jungfräulichen Liebe zugethan sei. Aber wie? Durfte er, der gereifte Mann, diese Neigung, die doch wahrscheinlicherweise kein vernünftiges Ende nehmen konnte, durfte er sie unterstützen? Konnte nicht der landfremde, wie es schien sogar gemütskranke Mensch alle Augenblicke wieder in seinem Landau sitzen und weiterfahren? Doch der Karren war jetzt schon verfahren.

Ida trat ein, das Gesichtchen war hochgerötet, sie trug einen silbernen Teller mit zwei Bechern, ein Kammermädchen folgte mit allerlei Backwerk. „Schokolade mit Kapwein abgerührt“, sagte Ida lächelnd, indem sie ihm einen Becher präsentierte, „ich kenne den Geschmack meines Hofrätchens gar wohl, darum habe ich dieses Frühstück gewählt, und denken Sie, wie geschickt ich bei Madame la Truiaire geworden bin, ich habe ihn ganz allein selbst gemacht, Gesicht und Arme glühen mir noch davon; versuchen Sie doch, er ist ganz delikat ausgefallen.“

Sie lüftete, ohne sich vor dem alten Freund zu genieren, das leichte Überröckchen; eine himmlische Aussicht öffnete sich, der weiße Alabasterbusen schwamm auf und nieder, daß der Hofrat die alten Augen in seine Schokolade heftete, als solle er sie mit den Augen trinken. „Hieher sollte einer unserer jungen Herren kommen“, dachte er, „Kapweinschokolade in den Adern, ein solches Himmelskind mit dem offenen leichten Überröckchen vor sich – ob er nicht rein von Sinnen käme.“ Beinahe ebenso großen Respekt als vor ihren entfesselten Reizen bekam er aber vor der Kochkunst des Mädchens. Die Schokolade war so fein, so würzig, das rechte Maß des Weines so gut beobachtet, daß er bei jedem Schlückchen zögerte, zu schlucken.

[49] Idchen aber schien ihre Schokolade ganz vergessen zu haben, denn ein neues Schauspiel bot sich ihren Augen dar. Der wohlbekannte Diener des Fremden führte ein paar prachtvolle Pferde vor das Portal des Goldenen Mondes. Sie selbst war so viel Reiterin, daß sie wohl beurteilen konnte, daß besonders das eine Pferd, ein majestätischer Stumpfschwanz-Tigerschimmel, von unschätzbarem Wert sei. Auch Berner, der in allen Sätteln gerecht war, stimmte bei und pries die einzelnen Schönheiten des Schimmels, besonders auch das elegante, geschmackvolle Reitzeug.

Ida wagte voll Erwartung kaum Atem zu holen; der Mondwirt, ein stattlicher Vierziger, trat gravitätisch aus dem Thorweg und bekomplimentierte sich mit dem alten Diener um die Ehre, die Zügel des Tigerschimmels zu halten. Als aber dieser sich dieses Geschäft nicht nehmen ließ, hielt er den Steigbügel. Emil von Martiniz, in einem eleganten Morgenüberrock, trat jetzt aus der Halle, gefolgt von dem Oberkellner, er streichelte den schlanken Hals seines Schimmels und warf über ihn weg oft seine Blicke zu dem Fenster gegenüber, wo Ida neben dem Hofrat saß.

Indem tönte der Hufschlag eines in kurzem Galopp ansprengenden Pferdes die Straße herauf, es kam näher, es war der junge Dragoner-Freier Lieutenant von Schulderoff. Er hatte die gute Uniform an und von einem seiner Kameraden eine prachtvolle Tigerdecke entlehnt und gelangte jetzt in vollem Wichs vor des Präsidenten Haus an.

Nach Vorschrift der gnädigen Mama ließ er jetzt mit einem Blick auf die Holdselige seine Reitpeitsche fallen; im Nu war der geübte Voltigeur herab von seinem Rappen; aber gerade als er wieder aufspringen wollte, scheute sein Roß an denen, die vor dem Goldenen Mond standen, machte einen Seitensprung und dann im Karriere[WS 1] davon gerade auf einen Kirchplatz zu, wo viele Kinder, die gerade aus der Schule kamen, ihre unschuldigen Spiele trieben. Der Mondwirt, der bis jetzt noch immer den Bügel gehalten, flog rechts, der alte Diener links, und ventre à terre[WS 2] flog Martiniz mit Windeseile dem Rappen nach, überholte ihn noch drei Schritte vor einem Haufen Kinder, die keinen Ausweg mehr hatten und kläglich schrien, riß sein eigenes Roß herum,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Als Karriere oder Carrière wird ein spezieller Galoppsprung bezeichnet. Dabei stößt sich das Pferd mit beiden Hinterbeinen gleichzeitig ab und springt nach vorne (Wikipedia).
  2. Den Bauch an der Erde, d. h. im gestreckten Galopp.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 48–49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_027.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)