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Explosionen zu entgehen, als die Lilienkelche, bis an den Rand mit milchweißem Gischt gefüllt, kredenzt wurden, wie auf einem Bazar im asiatischen Rußland, wo alle Nationen untereinander plappern und maulen, gurren und schnurren, zwitschern und näseln, plärren und jodeln, brummen und rasaunen[WS 1]; so schwirrte in betäubendem Gemurmel, Gesurre und Brausen in den höchsten Fisteltönen bis herab zum tiefsten, dreimal gestrichenen C der menschlichen Brust das Gespräch um die Tafel.


Das Urteil der Welt.

Aber der größte Teil der Konversation, wenigstens am untern Ende des Tisches, galt Präsidents Ida. Dort gingen die zahnlosen Mäulchen der Tanten und Mütter wie oberschlächtige Mühlen, und die Posaunen-Seraphs-Gesichter der Töchter nickten ihren Konsens aus den kleinen Kalmucken-Äugelein. Wie hatte doch das Mädchen vor Gott gesündigt und gefrevelt dadurch, daß es so wunderhübsch geworden war! Wäre sie zurückgekommen wie eine wilde Hummel oder wie so manche, die man als Gagak in die Residenz schickt, um sie „Bildung und Blumenmachen lernen zu lassen, und die als Gagak wiederkehrt“, da hätte es geheißen, „an der ist Hopfen und Malz verloren, mich dauern nur die Eltern“. Jetzt, wo sie mit ihrem Tannenwuchs, mit ihrer unnachahmlichen Grazie bescheiden und doch voll so erhabener Würde hereintrat, das strahlende Diadem in den geschmackvoll geordneten Ringellocken und Löckchen, im feuersprühenden Auge Geist und Liebe, verschmolzen mit schuldloser, anspruchloser Natürlichkeit; die Wangen von Gesundheit gerötet, in den feinen Grübchen den kleinen, kleinen Schelm, den Mund so würzig, so kußlich, die aphroditische Schwanenbrust mit dem fürstlichen Schmuck, mit dem Pariser Hofkleid umschlossen – Nein! das Mädchen durfte nicht schön, durfte nicht unschuldig und tugendhaft sein. – „Ha, ha, ha, Frau Oberforstmeisterin!“ lachte die Kammerdirektorin, ohne darauf zu achten, daß sie die acht unschuldigen Ohren ihrer erwachsenen Töchterlein beleidigen könnte, „tugendhaft? Wir kennen die Residenztugend noch aus unsrer Zeit! [33] Da müßten sich die Steine umgekehrt haben, die Garde-Ulanen-Rittmeister müßten ihre engschließende Uniform ausgezogen und die Herren Archidiakonen und Superintendenten um ihr ehrbares Kostüm ersucht haben, müßten in schwarzen Mäntlein, weißen Beffchen[WS 2], kurzen Höschen und seidenen Wädchen, die Bibel unter dem Arm, einhergehen, wenn man bei siebzehnjährigen Mädchen Tugend finden sollte in Sodum!“

„Wahrhaftig, Sie haben recht“, schnatterte es über die Tafel herüber, „und die gerühmte Schönheit? Ist alles Lug und Trug, das kann man alles dort ums liebe Geld haben; meinen Sie denn, diese Locken dort, diese Zöpfe seien echt? Bewahre; man hat ja gesehen, was für Haar Mamsell Sausewind in die Residenz nahm; wo sind die gelben Zähne hingekommen? Meinen Sie etwa, ein so herrlicher Mund voll, wie jene hat, schiebe sich im sechzehnten, siebzehnten Jahre noch nach? Lauter Seehund, nichts als Seehund.“

„Ja, Frau Gevatterin“, unterbrach eine dritte, „und die handbreiten Brüßler Kanten, der Amethystschmuck, mit welchem man meinen Thorweg pflastern könnte – von der Fürstin Romanow soll er sein? Ha, ha, ha, man hat auch seine Nachrichten; die Fürstin, Gott halte sie in Ehren, ist eine splendide Frau; auch reich, steinreich, gebe alles zu – aber so einem naseweisen Kind, das kaum hinter den Ohren trocken ist, dieses Diadem, diese Ohrenringe, dieses Kollier, dieses Kreuz zu schenken – nein, dazu ist die Frau Fürstin Hoheit doch zu vernünftig. Haben Sie aber nie von ihrem Neffen, dem Prinzen Ferdinand gehört? Soll ein splendider, artiger Herr sein, der Prinz, und wenn man nur gegen ihn gefällig ist, ist er es wohl auch wieder, ha, ha, ha –“

Und der ganze Zirkel lachte und stieß an auf den gefälligen, splendiden Prinzen.

Nein, wahrhaftig, es war nicht zum Aushalten; ein schönes, engelreines Geschöpf, voll Milde, Sanftmut und Mitleiden so schonungslos zu verdammen. Emil hatte in einer Fenstervertiefung, wo er sich hingestellt hatte, um die Tafel zu übersehen, alles mit angehört; er hätte mögen der Frau Gevatter den einzigen Zahn, den sie noch hatte, mit welchem sie aber nichtsdestoweniger

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Lärmen, poltern.
  2. Halsbinde; am Halsausschnitt getragenes, rechteckiges weißes Leinentuch.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 32–33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_019.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)