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Thränen, die sie gestern in diesen dunklen Wimpern sah, war es der wehmütige Ernst auf seinem Gesicht, was sie so rührte, hatte der Hofrat recht mit den Häkchen, die in gewissen Augen sitzen, und hatte sie zu tiefe Beobachtung angestellt und war geangelt worden und gef– nein! lächelte sie schelmisch vor sich hin, gefangen? da hat es keine Not; es ist ja nur das natürliche Mitleiden, was mich immer nach ihm hinsehen heißt!

Eilf Uhr war vorüber, es sollte noch eine Ekossaise vor dem Souper getanzt werden. Stürmisch drängten sich die Herren um das Wunderkind; aber Trotzköpfchen Ida blieb fest dabei, diesmal auszusetzen, und ließ die Herren ablaufen. Der Hofrat setzte sich zu ihr, und unwillkürlich waren sie wieder mitten im Gespräch über den Fremden.

„Ach, sehen Sie nur“, sagte Ida mit der himmlischen Gutmütigkeit ihres Engelköpfchens, „sehen Sie nur, ich meine, er wird zusehends immer blässer, wenn er nur nicht krank wird.“ Der Hofrat fand ihre Bemerkung richtig, er zeigte ihr aber, wie dieser feste, heldenmäßige Körper nicht so leicht von einem kranken Unfall gestört werden könne; aber Ida wurde immer unruhiger, sie sah, wie Martiniz die Lippen zusammenpresse, als wolle er einen Schmerz verbeißen; der Ernst in seinem Gesicht wurde nach und nach zur Trauer, das Wehmütige, der thränenschwere Trübsinn in seinem Auge wurde immer unverkennbarer.

„O Gott, sehen Sie ihn nur an, guter Berner, ist mir doch, als sollte ich zu ihm gehen und fragen, was fehlt dir, daß du nicht fröhlich bist mit den Fröhlichen, wie gern wollte ich alles thun, dir zu helfen –“

Der Mensch denkt’s, Gott lenkt’s!!!

Auch der Hofrat wurde jetzt unruhig, denn mit einem Ruck hatte sich der bleiche Fremde aufgerafft und stand nun in seiner ganzen Größe, in gebietender und doch graziöser Haltung da, aber sein Auge heftete sich furchtbar starrend nach der Saalthüre. Berner wollte eben aufstehen und zu ihm hin –

Da öffnete sich die Thüre, ein alter, reichgekleideter Bedienter, derselbe, welchen Ida gestern gesehen, trat ein, ging auf den Fremden zu und neigte sich schweigend vor ihm. Dieser riß eine Uhr [25] heraus, warf einen Blick auf sie und einen zweiten voll Wehmut auf Ida herüber und verließ langsamen Schrittes den Saal.

Ehe noch der Hofrat seiner Nachbarin seine Vermutungen über diesen sonderbaren Abzug mitteilen konnte, war die Ekossaise zu Ende. Der Präsident kam und führte sein liebes, holdes, wunderherziges Töchterchen zur Tafel.


Die Kirche.

Der alte Küster am Münster zu Freilingen saß in dieser Nacht nach seiner Gewohnheit noch lange in seinem kleinen Stübchen; der Abendsegen war schon vor einer Stunde seiner Ehehälfte vorgelesen, er hatte sich jetzt hinter die alte Chronik gesetzt und las mit brummender Stimme halblaut vor sich hin, wie man den herrlichen, vierhundert Schuh hohen Münsterturm erbaut und wie solches viel Zeit und Geld gekostet habe. Eben wollte die Alte den weiß und blau gestreiften Umhang der zweischläfrigen Himmelbettlade auseinanderschlagen, um ihren Ehezärter[WS 1] zu ermahnen, sein gewohntes Lager zu suchen, als man stark an den Fensterladen des niedern Parterrestübchen pochte. „Macht auf, Meister Küster! seid so gut und macht auf!“ rief eine tiefe, aber bescheidene Stimme draußen. „Wird wohl ein Bote von einem Kranken sein“, näselte der Küster, „der die Sakramente noch will.“ Er legte die Brille ins Chronikbuch, daß die Stelle nicht verblättere, denn er hatte von dem Kalk gelesen, den man mit Wein angemacht habe, und hatte dabei unmutig an das Dünnbier gedacht, das seine Ursula ihm, einem Nachkommen dieser Weinmaurer, tagtäglich vorsetzte.

Draußen schob er die mächtigen Schlösser und Riegel der Hausthüre auf, und herein trat ein kleiner ältlicher Mann in reichbortiertem Bedientenrock. „Was soll’s so spät?“ fragte der Küster.

„Kamerad“, antwortete der Bediente, indem er den Küster aus dem kalten Hausgang in die wärmere Stube hineinzog, „Kamerad, wollt Ihr mir und noch jemand einen Liebesdienst erweisen?“ Zugleich legte er einen blanken harten Thaler auf den Tisch.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Zärter, Vertragsurkunde, zu Hauffs Zeiten war der Begriff schon veraltet (vgl. Zerter und Ehezerter). Hier offenbar für Ehemann gebraucht.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 24–25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_015.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)